Die Kino-Kritiker

«The Grey - Unter Wölfen»

von

Nach einem Flugzeugabsturz in Alaska beginnt für eine Gruppe Männer der packende Kampf ums nackte Überleben.

Liam Neeson möchte es auf seine „alten“ Tage scheinbar noch einmal wissen. Der charismatische und vielseitige Ire, der einst als Hauptdarsteller für Steven Spielbergs Holocaust-Drama «Schindlers Liste» (1993) mit einer Oscarnominierung bedacht wurde und sich auch nach wie vor gelegentliche Ausflüge ins Charakterfach nicht nehmen lässt, scheint mit Blick auf seine näher rückende Vollendung des 60. Lebensjahres zusehends Gefallen an Rollen als knallharter Draufgänger in actionlastigen Stoffen gefunden zu haben, egal, ob nun in «Das A-Team - Der Film» (2010) oder insbesondere in «96 Hours» (2008) und «Unknown Identity» (2011). Auch im Thrillerdrama «The Grey - Unter Wölfen», welches ihn nach der «A-Team»-Neuauflage erneut mit Regisseur Joe Carnahan («Narc», «Smokin’ Aces») zusammenführt, mimt er den hartgesottenen Kämpfer, der es mit einem überlegen scheinenden Feind aufnimmt.

Seine Figur hört auf den Namen John Ottway und arbeitet für ein Ölunternehmen als Jäger in Alaska, wo er die dortigen Mitarbeiter bei ihren Bohrungsarbeiten vor Angriffen wilder Tiere schützt. Als er gemeinsam mit einigen von ihnen den Heimweg nach Kanada antritt, geraten sie mit ihrem Flugzeug in einen Schneesturm. Die Maschine stürzt ab und lediglich eine Handvoll Männer, zu denen auch Ottway gehört, überlebt. Von der Außenwelt abgeschnitten, finden sie sich in der menschenleeren Wildnis Alaskas wieder, umgeben von endlos anmutenden Schnee- und Eismassen. Doch die Kälte scheint nicht einmal ihr größter Feind zu sein, denn schon bald wird die Gruppe mehrfach von einem hungrigen Wolfsrudel attackiert. Ein kräftezehrender Überlebenskampf beginnt, der vor allem dank intensiver Szenen und eines melancholischen Erzähltons zu fesseln weiß, mitunter aber mit einigen Längen und schlechten Computeranimationen zu kämpfen hat.

Doch der Reihe nach. Bereits der Einstieg in die Handlung umreißt das freudlose Gemüt der Hauptfigur und stimmt damit auf die oftmals recht triste Ausrichtung des Films ein. Durch einen resignierten, fast schon verbitterten Off-Monolog und die dies subtil und dennoch sehr eindringlich untermauernde Mimik Liam Neesons wird schnell klar, dass der Zuschauer es mit einem Protagonisten zu tun hat, der dem Leben nicht mehr viel abgewinnen kann. Vor allem die Verweise auf einen tragischen Verlust etablieren ihn schnell als Sympathieträger, wozu auch der Umgang mit seinen Mitmenschen des Öfteren beiträgt. Letzteres erfährt bereits kurz nach dem dramatisch inszenierten Flugzeugabsturz seinen emotionalen Höhepunkt in einer ergreifenden Konfrontation mit den Folgen des Unglücks.

Diese Intensität auf Gefühlsebene wird später im Film bis kurz vor Ende kaum noch erreicht. Und das obwohl die agierenden Nebenfiguren nach und nach ebenfalls etwas mehr Profil bekommen. Somit sollte ihr Schicksal zumindest nicht völlig irrelevant sein. Wirkliche Nähe zu ihnen wird jedoch nicht erzeugt. Dafür bleiben die Charakterisierungen trotz aller Mühen dann doch zu oberflächlich. Darin liegt mitunter auch das gelegentliche Aufkommen vereinzelter Längen begründet, die sich insbesondere bei den ruhigeren Zwischentönen bemerkbar machen. So lässt das Drehbuch von Joe Carnahan und Ian MacKenzie Jeffers, aus dessen Feder auch die zu Grunde liegende Kurzgeschichte «Ghost Walker» stammt, die Figuren hin und wieder zwar durchaus ansprechend über komplexe Themen wie die Einstellung zum Tod oder den Glauben philosophieren. Doch liegt das Interesse an den Charakteren nicht derart gleichmäßig hoch, als dass man regelrecht darauf brennt, die Meinung jedes einzelnen zu erfahren.

Daher bleibt es in besonderem Maße Joe Carnahans Inszenierung an sich, welche die Spannung des Geschehens über weite Strecken hoch hält. Der Regisseur beweist trotz des Rückgriffs auf eher minimalistische Mittel mit einigen originellen Einfällen und nervenaufreibenden Szenen ein gutes Händchen dafür, den Zuschauer in seinen Film hineinzuziehen und am Überlebenskampf der Figuren teilhaben zu lassen. Leider wird dies mehrmals durch die mangelhaften Animationen der Wölfe merklich geschmälert. Zwar bemüht sich Carnahan, diesen Umstand so gut es geht zu kaschieren, indem er die Tiere vergleichsweise selten und kurz in ihrer vollen „Pracht“ auftreten lässt, bei Einstellungen aus der Nähe mitunter Animatronics verwendet und während der Angriffe auf teils anstrengend verwackelte Nahaufnahmen zurückgreift, doch bleibt die Herkunft der Vierbeiner aus dem Computer meist allzu offensichtlich. Das raubt der für den Film so zentralen Bedrohung durch das Wolfsrudel, insbesondere in den Szenen, in denen sie direkt auftreten, einiges an Kraft und Glaubwürdigkeit.

Aufregender bleibt es hingegen schon, wenn sie nicht zu sehen, sondern allenfalls zu hören sind. Durch die frühe Etablierung gezielt gesetzter Schockeffekte werden die meisten Gespräche zwischen den Figuren von einer grundsätzlichen Anspannung überschattet, ist doch fast jederzeit mit einem weiteren Angriff zu rechnen. Dennoch ist es insgesamt die Kälte, die als zweite große Bedrohung noch wesentlich greifbarer erscheint. Man bekommt regelrecht ein Gefühl für die niedrigen Temperaturen und die erschwerte Fortbewegung in den dichten Schneemassen der eisigen Weiten Alaskas. Kontrastiert durch prachtvolle Landschaftsaufnahmen, lässt dies die Natur unheilvoll und wunderschön zugleich erscheinen.

Trotz der erwähnten Unzulänglichkleiten bleibt «The Grey» daher und schließlich auch nicht zuletzt dank seiner fabelhaft gewählten und ausgeführten Schlussszene ein fesselndes, düsteres Survival-Drama. Dessen Intensität hätte durch ansehnlichere Computeranimationen zwar noch einmal deutlich verstärkt werden können, doch die stets mitreißende Inszenierung, der angesichts der desillusionierten Hauptfigur oft schwermütige Grundton und die gewohnt einnehmende Performance Liam Neesons wissen auch dies größtenteils zu kompensieren, um aus «The Grey» letztlich ein sehenswertes Stück Spannungskino zu machen.

«The Grey - Unter Wölfen» ist ab dem 12. April in vielen deutschen Kinos zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/56038
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