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Gottschalk: Ein tiefer Fall?

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Schlechte Quoten und inhaltliche Mängel: Thomas Gottschalks Vorabend-Show steht in der Kritik. Genau ein Jahr nach seiner Bekanntgabe zum Ende von «Wetten, dass..?» scheint der Stern des einstigen Samstagabend-Stars zu sinken.

Das ist Thomas Gottschalk 2012: Ein Mann, der „passt nicht in unsere Wohnzimmer, weil er nicht bereit ist, zu schrumpfen“. Gottschalk „merkt nichts mehr“ (taz, 09.02.). Er sei „der große Irrtum“, so das Online-Portal Meedia: „Wenn «Gottschalk Live» läuft, rennt jeder, der noch gut zu Fuß ist, aus dem Wohnzimmer.“ Seine Show wird als „Trauerspiel“ und „großer Irrtum aller Beteiligten“ bezeichnet (10.02.). Gottschalk sei einer, der „redet und redet, und seine Gäste kommen kaum zu Wort.“ (Die Welt, 10.02.) Und einer, der sich „nicht für Menschen“ interessiere (Stern, 08.02.). Die Abendzeitung aus München schreibt das, was die anderen zumindest denken: Thomas Gottschalk und die ARD-Vorabendshow – das sei schon jetzt „vollkommen gescheitert“ (12.02.). Es liegt derzeit im Trend, den früheren Quotengigant niederzuschreiben. Aber hat er das auch wirklich verdient?

Vor genau einem Jahr gab Thomas Gottschalk in «Wetten, dass..?» den Abschied von der großen Samstagabend-Bühne bekannt. Es folgte eine letzte Tournee durch Deutschlands Hallen, mit großem Publikum und internationalen Stargästen auf der Couch. Auch die Quoten waren noch einmal hervorragend. Sogar Günther Jauchs Jahresrückblick verhalf Gottschalk zu neuen Bestwerten, weil er am Tag nach seinem «Wetten, dass..?»-Abgang zu Gast war.
Ein Jahr später: alles vergessen. Die schlechten Zuschauerzahlen sind jetzt Legitimation dafür, dass Zeitungen und Websites ihre Auflagen und Klickzahlen mit Negativschlagzeilen um Gottschalk steigern. Die Quote gibt den Kritikern recht, will man meinen. Aber ganz so einfach ist es nicht: Die Einschaltquote ist die eine Seite, der Inhalt die andere.

Eine etwas differenziertere Sichtweise ist bei dem Mann vonnöten, der noch zwei Monate vor seinem ARD-Vorabendflop 15 Millionen Menschen am Samstagabend versammelt hatte. Gerade der Spiegel – früher berüchtigt für die obligatorischen Verrisse bei jeder neuen «Wetten, dass..?»-Sendung – erkennt derzeit, dass der Inhalt von «Gottschalk Live» durchaus gegen den Quotentrend geht: Man bescheinigt Gottschalk eine bessere Form als in den ersten Shows am ARD-Vorabend, trotz der gesunkenen Zuschauerzahlen. Der Moderator „findet seine Form“, scheint die „gute Laune wieder gefunden zu haben“ (Spiegel Online, 09.02.).

Dennoch liegen die ernüchternden Fakten auf dem Tisch: Am vergangenen Donnerstag sahen erstmals weniger als eine Million Menschen «Gottschalk Live». Die meisten Programme, die in den Jahren zuvor auf diesem Sendeplatz im Ersten gezeigt worden waren, hatten bessere Zuschauerzahlen als Gottschalk – und wurden trotzdem, meist nach wenigen Monaten, als Flop abgestempelt und ins Sendearchiv verbannt. Aber dies ist noch längst kein Grund für eine Demontage, wie sie derzeit in einem Teil der Medien – mit Genuss – betrieben wird.

Es fehlt die kritische Distanz, die «Gottschalk Live» auch in den Kontext setzt: In den vergangenen Jahrzehnten füllte Thomas Gottschalk größte Säle und präsentierte eine Show, ein paar Mal im Jahr. Die Sendedauer war quasi egal, Überziehungen waren Tagesordnung. Nun muss Gottschalk genau den Sendeplan einhalten, in einer halben Stunde talken und hat kein Publikum. Er sendet täglich anstatt monatlich. All dies heißt: Auch Gottschalk muss sich anpassen, muss sich umstellen dürfen. Genauso wie ihm muss man auch dem Fernsehpublikum Zeit lassen, diese Sendung zu entdecken und alte Sehgewohnheiten umzustellen. Bei «Wetten, dass..?» hat es Jahrzehnte gedauert, bis die Quote irgendwann einmal sank. Nun sollte man dem ehemaligen Moderator dieser Sendung wenigstens ein paar Monate Zeit geben, um das Umgekehrte zu schaffen – nämlich wieder Zuschauer für sich zu gewinnen. Gottschalks erste drei Sendewochen waren bei weitem nicht so schlecht, wie viele es schrieben, und seine zarten Gehversuche am täglichen Vorabend brauchen Zeit zur Entwicklung, wenn man vom einen Extrem (einer mehrstündigen Samstagabendshow) in das Andere (der täglichen Vorabendsendung) wechselt.

Das Risiko um «Gottschalk Live» war immer bekannt, aber es wäre feige, dieses Experiment jetzt schon als gescheitert zu bezeichnen.

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