Hingeschaut

«Ich bin ein Star - Holt mich hier raus» - RTLs Promi-Schlachtbank

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„Hier fliegen gleich die Bömmel von den Titten“: Ohne Frage ist «Ich bin ein Star - Holt mich hier raus» auch dieses Jahr wieder ein hochwertig produziertes Format. Medienethisch ist die Sendung aber nach wie vor grenzwertig. Ein Kommentar von Julian Miller.

Natürlich ist das alles Trash.

Natürlich lebt das Dschungelcamp von der permanenten Erniedrigung, der niedersten Zurschaustellung persönlicher Abgründe, dem medienwirksamen Schlachten von Menschen, die einmal in der Öffentlichkeit standen und ihr Vermögen (sofern je existent) schon lange durchgebracht haben. Und dabei immer schön mitten in die Kameralinse und voll auf die Zwölf. Bis einem der Schädel dröhnt. Klar, dass das unter medienethischen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig ist.

Vincent „Mit Bohnen aufpassen, das gibt Blähungen“ Raven, der Uri Geller für Arme, befreit das Camp von bösen Geistern und versucht mit seinem Amulett (die 50 Cent für den Kaugummiautomaten hat wohl RTL übernehmen müssen), die größten Konfrontationen der Assishow-Teilnehmer wegzumentalisieren. Micaela Wo-kann-ich-mich-hier-ausziehen Schäfer erzählt derweil der Nation, dass sie auf dreckigen Sex stehe, und würgt sich einen halben Liter Blut und gequirlte Leber runter. Martin Irgendwie-muss-ich-meine-Finanzamtsschulden-loswerden Kesici liegt auf der Pritsche, raucht und versucht, sich so wenig wie möglich zu blamieren. Brigitte Nielsen, die Grande Dame des Reality-Sumpfes, bemüht sich, die Namen ihrer Leidensgenossen im Kopf zu behalten und erzählt schon am ersten Abend Trash-gemäß von den angeblichen Schrumpfhoden ihres Exmannes Sylvester Stallone. Und Ailton Schöne-Frau-Ailton-nix-schwule-Spieler-professionell gibt alles, damit man ihn irgendwie versteht. Wäre „vom RTL“ vielleicht doch besser gewesen, ein paar Hunnis für den Portugiesischdolmetscher locker zu machen.

«Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» ist auch dieses Jahr wieder ein Tanz auf der Rasierklinge zwischen der Befriedigung niederster Zuschauerinstinkte und einer hochwertigen Produktion, der es auch oft gelingt, all den Unfug und all die Degeneration in ein (zumindest für RTL-Verhältnisse) anspruchsvolles Gewand zu stecken und das Gemisch aus Mehlwürmer-Fressen und Seelensektion mit beißendem Sarkasmus zu brechen. Dass ein Sozialporno auch ein Sozialporno bleibt, wenn man gute Gags dazu schreibt, mit dem eigenen Image (sowohl der Sendung als auch des Senders) spielt und dem Zuschauer die Erniedrigungen auf eine teilweise recht intelligente Weise serviert, ist kein Widerspruch, sondern Teil des Konzepts.

Der große Unterhaltungswert ist dabei zwar unbestreitbar – doch auch in der sechsten Staffel stellt sich natürlich immer noch die Frage, ob all das unter ethischen Kriterien vertretbar ist. Man macht es sich zu einfach, wenn man in dieser Diskussion allein argumentieren würde, dass es sich bei den Teilnehmern um (zu einem großen Teil bankrotte) medienerfahrene Persönlichkeiten handelt, die sich ohnehin vom seriösen Fernsehen längst verabschiedet haben dürften.

Wer hier reingeht, dem muss alles egal sein. Der muss damit leben können, dass bis zu sieben Millionen Zuschauer bei seinem Nervenzusammenbruch dabei sind und dazu fröhlich Popcorn mampfen. Der muss damit rechnen, dass er sich in Kakerlaken suhlen muss, um die mageren Essensrationen im Camp ein wenig zu pimpen. Der muss es sich gefallen lassen, von Sonja Zietlow und Dirk Bach, det Liebschen des Vorführfernsehens, als talentlose gescheiterte Existenz dargestellt zu werden. Bereits am Montag titelte der Online-Branchendienst „Meedia“ mit der Schlagzeile „Wer schützt Ramona Leiß vor sich selbst?“ Die Antwort ist einfach: niemand. Das ist nämlich der perfide Sinn der Sache.

Die Zuschauer fressen es jedenfalls wie Micaela Schäfer die Raupen und Mistkäfer: Bei der Premierenfolge waren 6,88 Millionen Zuschauer bei einem Zielgruppenmarktanteil von 36,1% dabei, und in den folgenden Tagen lag man meist recht nah an den Werten der vergangenen Staffel. Traumquoten sogar für RTL, auch wenn nicht alle Werbeplätze ausgebucht zu sein scheinen. Denn nicht jeder will mit dem wohl versifftesten Karrieresprungbrett der Bundesrepublik in Verbindung gebracht werden.

War man in den ersten Staffeln der Sendung noch darauf aus, die Teilnehmer als tatsächlich mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten darzustellen, ist der Ton heute ein ganz anderer. Zietlow und Bach fragen ganz offen, woher man diese Leute eigentlich kennen sollte. Und was sie eigentlich können. Über die Jahre ist «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» fast zu einer Satire seiner selbst geworden und folgt heute einer ganz klaren Dramaturgie. Man zeigt minutenlang eine banale Diskussion übers Bohneneinweichen, die von den Campinsassen hitzig ausgetragen wird, und stellt danach satirisch treffend fest: „Wenn irgendeiner von ihnen haushalten könnte, wäre er jetzt nicht hier.“ Aus der letzten Saison ist noch eine Spitze gegen Sarah Dingens Knappik im Gedächtnis, deren Wikipedia-Eintrag während der Produktionszeit, so Zietlow, wegen Irrelevanz gelöscht werden sollte. Darauf Dirk Bach verwundert: „Sogar die Spaghettizange hat einen zweiseitigen Eintrag.“ Das Konzept ist klar: Ihr sitzt da unten und blamiert euch, und wir gießen Öl ins Feuer und machen uns über euch lustig. Man lacht nicht mit euch, sondern über euch. Und das ist auch so gewollt. Dann schreibt die „Bild“ noch ein paar voyeuristische Artikel und alle spielen mit. Hier geht es einzig und allein darum, wie tief man fallen kann.

Wenn man sich dessen bewusst ist und mit dieser Art von Fernsehen keine Probleme hat, dann kann der Unterhaltungsfaktor wirklich unbeschreiblich hoch sein. Selbsternannte Prominente am Tiefpunkt ihrer Karriere, von denen viele wohl den Dschungel als eine Art „letzte Chance“ im Mediengeschäft sehen dürften, werden degradiert, auf Nikotinentzug gesetzt und müssen sich nur von Reis und Bohnen (Aber Vorsicht: Blähungen) ernähren, wenn einer ihrer Mitstreiter nicht willens ist, in Fischabfällen zu baden oder die Geschlechtsteile australischer Wildtiere zu verzehren. In so einer Situation ist jeder schnell am Rande des Wahnsinns – wenn einem ohnehin schon die psychische Stabilität zu fehlen scheint, umso schneller. «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» setzt auf die Demaskierung, was Produzentin Nina Klink im Quotenmeter.de-Interview auch offen zugab. Der „Prominente“ wird gezwungenermaßen seine Maske irgendwann abnehmen und soll menscheln, einem Millionenpublikum sein Seelenleben offenbaren, damit der Zuschauer – wie sonst vor den Glasscheiben des Affenhauses im Zoo – sagen kann: „Mensch, guck mal. Die sind ja genauso wie wir auch, wa?“ Der „Star“ wird nicht nur von seinem Podest heruntergeholt, sondern gleich mit metaphorischen Steinen beworfen. Und macht dabei auch noch freiwillig mit.

Das Dschungelcamp ist Fernsehen der untersten Schublade. Doch das will nicht heißen, dass es nicht gut gemacht ist. Die Punchlines sitzen, die subtilen wie unsubtilen Anspielungen auf die aktuelle Nachrichtenlage in Deutschland und der Welt um den Noch-Bundespräsidenten Christian Wulff und den Golden-Globe-Abräumer «The Artist» treffen voll ins Schwarze, Dirk Bachs Outfits sind unheimlich schnuckelig, die Schnitte pointiert, Jack, der Opossums-Co-Moderator, wirklich sagenhaft süß, Vincent Ravens Gespräche über Bohnen und Blähungen an komödiantischem Potential kaum noch zu überbieten. Und die Eröffnung mit dem Soundtrack von «Koyaanisqatsi» hat wohl auch nur verstanden, wer zumindest noch eine kleine Restsubstanz Hirn im Kopf hat, die nicht vom täglichen «Britt»-Schauen völlig zermatscht ist. Die Sendung ist clever und kompromisslos.

Doch man kann es drehen und wenden wie man will: «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» ist und bleibt Voyeur-TV erster Güte. Mittlerweile präsentiert es sich aber in einem salonfähigen Gewand. „In einer Schwuchtelfarbe“, wie Vincent Raven wohl sagen würde.

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