Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Im Amt ohne Amtsverständnis

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Wulff und seine Drohanrufe: Wie ist es um einen Präsidenten bestellt, der die Pressefreiheit mit Füßen tritt?

Eines der wichtigsten Merkmale des deutschen Bundespräsidenten ist seine repräsentierende Funktion. Als Mann von Souveränität, Integrität und Glaubwürdigkeit soll er nicht nur unser Land positiv nach außen vertreten, sondern auch eine Vorbildfunktion für das deutsche Volk haben. Wie ist es um das Amt eines Präsidenten bestellt, wenn er die Rechte der Pressefreiheit offensichtlich nicht schätzt und verhindern will, dass Recherchen über seine dubiosen Hauskauf-Kredite oder andere unliebsame Texte an die Öffentlichkeit gelangen? Welches Verständnis hat ein Bundespräsident Christian Wulff von der vierten Gewalt im Staat, den Medien, wenn er deren unabhängige Arbeit mit Drohungen zu beeinflussen versucht?

Die Glaubwürdigkeit dieses Mannes fehlt spätestens seit der scheibchenweisen Aufdeckung seiner Hausfinanzierung, deren Praktiken nur über die Presse ans Licht kamen – und nicht über ihn selbst, so wie es selbstverständlich wäre. Und anstatt Fehler gleich zu Beginn einzugestehen, versucht Wulff zunächst, genau diese Berichte zu verhindern. Er gibt später dennoch eine Erklärung ab – aber erst dann, als die Alternative nur noch der Rücktritt war. Wie vehement Wulff die Berichte verhindern wollte, zeigt dessen Intervention nicht nur bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann: Auch Springer-Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner und Friede Springer wurden angerufen, um entsprechende Enthüllungsberichte unter Deck zu halten. Dies haben die Süddeutsche, Cicero und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung erfahren.

Im Rückschluss bestätigt dies auch: Christian Wulff wusste um diese Brisanz seiner Hausfinanzierung und dass diese nicht angemessen war, sonst wären ihm die Recherchen egal gewesen. Spätere Beteuerungen, es habe sich um einen gängigen und völlig normalen Kredit gehandelt, haben sich spätestens jetzt als bewusste Lüge entlarvt. Dass die Bild-Zeitung die Drohungen des Bundespräsidenten selbst nicht veröffentlicht hat, hängt auch mit der Rechtslage von Telefonaten zusammen. Dass aber Dritte – in dem Fall unter anderem die FAS – diesen Fall öffentlich machen, zeigt das Funktionieren der Pressefreiheit in diesem Land. Es wirkt fast wie eine Ironie, wenn man nun noch einmal die Worte Wulffs vom 22. Dezember vor Augen führt, als er bei seiner Erklärung sagte: „Ich weiß und finde es richtig, dass die Presse- und Informationsfreiheit ein hohes Gut ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft.“

Christian Wulff kann mit einem Rücktritt noch mehr Schaden vom Amt des Bundespräsidenten abwenden. Einen souveränen Abgang hat er dennoch längst verspielt. In der Retrospektive ist es fast irrational: Wulffs Vorgänger, Horst Köhler, wurde bei seinem Rücktritt teils dafür kritisiert, dass er das Amt im Stich gelassen habe. Im Licht der aktuellen Staatsaffäre wirkt sein Abgang souverän, geprägt von einer tiefen Integrität und Moral, von einem hohen Respekt vor dem Amt. Christian Wulff fehlen all diese Eigenschaften.

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