Die Kino-Kritiker

«Der König der Löwen 3D»

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Mit «Der König der Löwen» kommt nun der erfolgreichste klassische Zeichentrickfilm aller Zeiten in die Kinos zurück. Die 3D-Fassung eroberte in den sich langsam von der 3D-Technologie abwendenden USA überraschend die Nummer Eins der Kinocharts, so dass die ursprünglich auf zwei Wochen angesetzte Neuaufführung verlängert wurde. In Deutschland kommt zeitgleich zur Kino-Wiederveröffentlichung die Blu-ray in die Läden.

Da wohl jeder, der einen Kinobesuch erwägt, den Film schon kennt oder zumindest von einem Anvertrauten eifrig überzeugt wurde, soll an dieser Stelle keine klassische Kino-Kritik folgen. Die Geschichte von «Der König der Löwen» ist schließlich zeitlos, ebenso wie die schwer vergessliche Musik von Elton John, Tim Rice und Hans Zimmer. Auch die liebevollen Zeichnungen können sich weiterhin unbesorgt neben der so erfolgreichen Computeranimation sehen lassen.

Sofern man also nicht höchst allergisch auf Zeichentrickfilme und Gesangseinlagen reagiert, ist das einzige, was die Entscheidung für oder gegen einen Kinobesuch beeinflussen kann, die Qualität der 3D-Konvertierung. Und eben dieser sei sich in diesem Artikel gewidmet.

Zeichentrick und Tiefenwirkung?


Im ersten Moment mag die Vorstellung eines Zeichentrickfilms in 3D für den einen oder anderen befremdlich wirken. Zeichnungen seien generell ja eher flach, im besten Fall sähe der Film nach der 3D-Konvertierung aus wie ein Pop-up-Buch – so die Gedanken mancher Zweifler. Diese unterschätzen jedoch die Sorgfalt, mit der im Zeichentrickmedium gearbeitet wird. Seit jeher bemüht man sich im Zeichentrick um eine größere Tiefenwirkung. Man vergleiche nur einen alten Schwarz-Weiß-Cartoon aus den frühen 20er-Jahren mit «Schneewittchen und die sieben Zwerge» oder nun mal «Der König der Löwen», und man wird erkennen, dass Zeichentrick-Künstler sehr um Plastizität bemüht sein können.

Ähnlich, wie im Realfilm durch sorgfältigere Ausleuchtung und besseres Kamera-Equipment ein räumlicheres Bild erzeugt wird, wurden auch im Zeichentrick zu diesem Zweck immer wieder neue Technologien entwickelt. Eine der wichtigsten Erfindungen war die Multiplane-Kamera, die von Ub Iwerks, dem ersten Micky-Maus-Zeichner, für die Disney-Studios erdacht wurde. Der Clou hinter dieser Kamera ist erstaunlich simpel. Wurden zuvor die Trickfiguren vor einem festen Hintergrund abfotografiert, konnte man diesen mittels der Multiplane-Kamera mehrfach in der Höhe staffeln. So konnte auf der Glasplatte eine Straße, auf der zweiten eine Reihe Häuser und auf der dritten die in der Ferne erkenntliche Berglandschaft abgebildet werden. Durch den technisch verstellbaren Abstand zwischen den Platten entstand eine deutliche sowie kontrollierbare Tiefenwirkung, die sehr gut im Kurzfilm «Die alte Mühle» oder der Flugsequenz über London in «Peter Pan» zum Ausdruck kommt.

Die Arbeit mit der Multiplane-Kamera war allerdings sehr zeit- und kostenaufwändig, weshalb sie in späteren Jahren seltener zum Einsatz kam. Als Walt Disney durch seine Freizeitpark-Planungen das Interesse verlor und sich zudem teure Experimente wie «Dornröschen» nicht auszahlten, beschleunigte man im Studio den Produktionsprozess. Deswegen besitzen Filme wie «101 Dalmatiner» und «Das Dschungelbuch» längst nicht solch eine Räumlichkeit, wie etwa der Multiplane-lastige «Pinocchio». In den späten 80ern entwickelten Vertreter Disneys und Pixars gemeinsam ein computergestütztes Produktionssystem für Animationsfilme (kurz CAPS), welches den Tuschier- und Kolorisationsprozess digitalisierte. Dadurch wurde es einfacher, Schattierungen oder semitransparente Farben zu verwenden. Zudem ermöglichte es, Hintergründe einzuscannen und am Computer zusammenzusetzen. Dies bedeutete, dass nun ausführlichere und räumlichere Kamerafahrten denkbar waren, was wiederum erneut die Möglichkeiten räumlicher Illusion erhöhte. Der erste komplett durch CAPS verwirklichte Film war «Bernard & Bianca im Känguruhland», der sofort mit einer zuvor undenkbar langen Kamerafahrt eröffnet. Gefolgt wurde er von «Die Schöne & das Biest», dessen Ballsaalsequenz mit ihrer frei schwebenden Kamerabewegung ebenfalls zuvor unmöglich gewesen wäre.

Eine Weiterentwicklung dieser „digitalen Multiplane-Kamera“ erfolgte bei der Disney-Zeichentrickadaption von «Tarzan». Auf Anregung des Hintergrundmalers Dan St. Pierre, der mit den Beschränkungen des Mediums unzufrieden war, entwickelte man die Software Deep Canvas, die St. Pierre als Art Director bei «Tarzan» intensiv nutzte. Durch Deep Canvas konnte im Computer ein Hintergrundgemälde erschaffen werden, das klassische Maltechniken auf eine im Computer geplante, dreidimensionale Landschaft anwendet. Somit waren intensive Kamerafahrten durch einen zahlreiche Schichten umfassenden Dschungel möglich, in dem sich die klassisch von Hand animierten Figuren frei bewegen konnten. Die Ergebnisse sind erstaunlich, doch leider wurde Deep Canvas mit Disneys Abkehr vom Zeichentrick nach dem Kinoflop des kostenintensiven Sci-Fi-Abenteuers «Der Schatzplanet» eingemottet.

Dennoch sollten diese Beispiele belegen, dass sich das Zeichentrickmedium für die moderne 3D-Technologie genauso eignet wie Realfilme oder Computeranimation. Trotzdem ist das Vorhaben einer 3D-Konvertierung von Zeichentrickfilmen wie «Der König der Löwen» leichter vorgenommen als umgesetzt …

Der Konvertierungsprozess


In den vergangenen Monaten waren im Kino einige eilig erstellte 3D-Konvertierungen zu sehen, die äußerst effektive Anti-Webung für das moderne 3D-Kino machten. Produktionen wie «Kampf der Titanen» waren in 3D verschwommen, hatten wenig Tiefenwirkung und sorgten dafür, dass das Leinwandgeschehen in schnell geschnittenen Sequenzen kaum zu erkennen war. Zuweilen erfolgen solche 3D-Konvertierungen sogar gegen Wunsch des Regisseurs, so äußerte sich beispielsweise der «Findet Nemo»-Regisseur Andrew Stanton sehr skeptisch gegenüber der 3D-Konvertierung seiner 2012 startenden Sci-Fi-Großproduktion «John Carter».

Die 3D-Neuaufführung von «Der König der Löwen» hingegen wurde vom Produzenten Don Hahn und den Regisseuren Roger Allers & Rob Minkoff abgesegnet. Sie überwachten gemeinsam mit dem 3D-Stereographen Robert Neuman, der von Vertretern der 3D-Effektbranche für seine Arbeit an Disneys «Rapunzel» die Auszeichnung für die beste 3D-Szene verliehen bekam, den Konvertierungsprozess, um ein möglichst ansprechendes Ergebnis zu garantieren. Sie gaben auch Rückmeldung, wie stark sie den Effekt in sämtlichen Filmeinstellungen einsetzen würden, um ihn ähnlich der Musik oder Farbwahl auch als künstlerisches Erzählmittel zu verwenden. Zu diesem Zweck wurden die Filmszenen auf einer Skala von 1 bis 10 bewertet, wobei 1 für reine Dialoge mit Exposition oder narrative Atempausen stand, während eine 10 an die inhaltlichen Höhepunkte sowie imposante Actionszenen ging. Je höher der Wert einer Szene, desto stärker soll in ihnen der 3D-Effekt zur Geltung kommen, so Neumans Vorhaben.

An der Umsetzung der 3D-Umwandlung arbeiteten insgesamt 60 Personen, die unter Rückgriff auf die Original-CAPS-Daten für jedes einzelne Filmbild ein Skript erstellten. Dieses besagte für jede einzelne Schicht des Bildes, wie stark sie aus dem Bild herausragen, oder wie tief auf der Leinwand sie erscheinen sollen. Auf der Basis dieses Skripts wurden schließlich innerhalb von vier Monaten neue digitale Daten des Films erstellt, die letztlich die 3D-Fassung darstellen. Mittels spezieller Software sollte dabei auch verhindert werden, dass die Figuren wie Pop-up-Elemente vor einer Landschaft mit Tiefenwirkung stehen. Unter Zuhilfenahme dieser Software wurden die Figuren an entsprechenden Stellen abgerundet, so dass auch sie dreidimensional wirken.

Bei diesem Prozess erwiesen sich Figuren, die auf simplen, runderen geometrischen Formen basieren, als sehr einfach. Größere Probleme hat die Bearbeitung des Nashornvogels Zazu gemacht, da dieser ein sehr verwinkeltes Design hat, welches sich als Herausforderung für die zur Konvertierung genutzten Software erwies. Die schwierigsten Szenen waren laut Neuman wiederum die Gnu-Stampede sowie die Sequenz während des Schurkensongs „Seid bereit“, da in diesen durch zahlreiche Effektaufnahmen und die Horden an darin auftauchenden Figuren sehr viele Ebenen berücksichtigt werden mussten.

Wie gelungen ist die Umsetzung?


Die Intensität, mit der an der 3D-Konvertierung von «Der König der Löwen 3D» gearbeitet wurde, zeigt sich im fertigen Produkt durchaus. Tatsächlich wurde eine „runde“ Tiefenwirkung erzielt, statt eines bewegten Pop-up-Buchs, und im Gegensatz zu abgehetzten 3D-Konvertierungen, wie bei «Kampf der Titanen» oder «Die Legende von Aang», sind auch nicht ununterbrochen Nachzieheffekte zu erdulden. Dennoch erreicht «Der König der Löwen 3D» nicht die Räumlichkeit solcher 3D-Geniestreiche wie «Avatar» oder «Rapunzel».

Interessanterweise ist die mit Abstand gelungenste 3D-Arbeit in der Musiksequenz „Seid bereit“ zu beobachten, die für Robert Neumans Team eher einem Albtraum glich. Die in einer sich Stück für Stück einem Höllenschlund annähernden Schlucht spielende Szene voller Schwefelwolken und zahllosen, sich Scar unterwerfenden Hyänen erreicht in 3D eine gänzlich neue Wirkungsdimension. Der Tiefeneffekt ist enorm, der Qualm scheint aus der Leinwand hervorzutreten und durch den intensiven, theatralischen Schattenwurf während des Songs wirkt die Gesangseinlage des Bösewichts noch soghafter als in 2D. Wäre der 3D-Effekt während der gesamten Laufzeit auf diesem Niveau, könnte man ohne Gewissensbisse sagen, dass diese Technologie den Film insgesamt verbessert hat.

Doch so sehr «Seid bereit» vom 3D-Effekt profitiert und eine größere Faszination denn je zuvor ausübt, sind sehr viele andere Sequenzen klassische „Wer 3D liebt, wird auch dies lieben, Gegner wird man aber nicht überzeugen“-Fälle. Wer eine Vielzahl der für Themenparks typischen Rausstech-Effekte erwartet, wird sich auch bei «Der König der Löwen 3D» wie schon bei «Avatar», «Tron: Legacy» oder «Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten» darüber beklagen, dass das Bild zumeist eher in die Tiefe geht, und nicht etwa in den Zuschauersaal hinein. Zudem ist der Effekt in wenigen Szenen kaum zu bemerken: Wenn etwa Simba und Mufasa vor einem Sonnenuntergang spazieren, gibt es in den Nahaufnahmen bloß die Figuren und einen fast einfarbigen, detailarmen Hintergrund zu sehen. So plastisch ist der 3D-Effekt an den Figuren dann doch nicht, dass sie auch ganz allein begeistern könnten.

Die zuvor angesprochene Gnu-Stampede ist in Sachen 3D übrigens kurioserweise weniger auffällig als der kurz zuvor stattfindende Schurkensong. Womöglich läuft das Geschehen in dieser Szene schlicht zu schnell ab, als dass der Effekt vom Auge des Kinobetrachters sonderlich registriert werden könnte. Dafür lässt die satte Tiefenwirkung das Auge genüsslich über die paradiesische Landschaft schweifen, in der sich Simba und Nala während „Kann es wirklich Liebe sein?“ erstmals näher kommen. Die majestätische Eröffnungssequenz zum Oscar-nominierten Lied „Der ewige Kreis“ hingegen gewinnt und verliert zugleich durch den 3D-Effekt: Wenn die unterschiedlichsten Vertreter der Tierwelt vor der atemberaubenden Natur Afrikas langsam auf die Kamera zulaufen oder Zazu über die versammelten Tiere hinweg fliegt, ist das 3D sehr kraftvoll. Jedoch gibt es auch wiederholt kürzere Einstellungen, in denen das Bild zu flackern scheint. Solche kleine, wohl technisch bedingte, misslungene Effekte sind in «Der König der Löwen 3D» sonst nicht zu bemerken, so dass er eindeutig zu den besseren 3D-Filmen gehört, trotzdem sind sie gerade in einer so eindrucksvollen Sequenz ungewünschte Störfaktoren.

Fazit


Was ist also letztlich über die 3D-Version von «Der König der Löwen» zu sagen? Im Grunde genommen ist es nur eine Spielerei, wenngleich eine willkommene. Unterm Strich verliert der Film nicht durch die dritte Dimension, womit er einigen anderen Kinoveröffentlichungen der jüngeren Vergangenheit klar etwas voraus hat. Mit Glanzmomenten wie „Seid bereit“, „Kann es wirklich Liebe sein?“ oder dem finalen Kampf um den Königsfelsen beweist «Der König der Löwen 3D» auch, dass 3D und das Medium Zeichentrick sehr gut harmonieren. Allerdings sind diese Momente nicht genug, um zu sagen, dass der Film von jetzt an bevorzugt mit der 3D-Technik zu betrachten ist. In dieser Hinsicht schlagen ihn Projekte wie «Avatar» oder «Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten». Für ein ein- oder zweimaliges Kinoerlebnis genügt es allerdings.

Deswegen ist die 3D-Wiederveröffentlichung schlicht ein sehr begrüßenswerter Anlass, sich einen der besten Animationsfilme aller Zeiten im Kino anzusehen. Ob erstmals oder erneut. Denn auf der großen Leinwand und mit vollem Kino-Sound ist das Seherlebnis schließlich besonderer als auf dem heimischen Sofa. Obendrein kann man sich so mit der Anschaffung eines 3D-Fernsehers noch etwas Zeit lassen, zumal der Effekt bei der Heimkinofassung auf 3D-Blu-ray etwas schwächer ist.

«Der König der Löwen 3D» ist ab heute, dem 10. November 2011, in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen. Einige Kinos bieten auch eine 2D-Fassung an.

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