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Wiedergeburt des TV-Westerns: Vom Kult in den 50ern zum Nischenprogramm heute

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Für zwei Jahrzehnte unterhielt das Westerngenre mehrere Generationen mit seinen gesetzestreuen Helden. Heute versuchen die US-Sender, an den Hype der Vergangenheit anzuknüpfen, und hoffen auf Zuschauer für das Genre, welches Schwierigkeiten beim jungen Publikum hat

Wenn es Film- und TV-Projekte gibt, die ein eigentlich ausgestorbenes Randgenre in eine neue Zeit retten, dann sind sie meist verantwortlich für die Kreation eines Hypes. Im Zeitalter von Internet, sozialen Netzwerken und der dazugehörigen ansteigenden Zahl von Fans und Kritikern ist es den wenigen Hypes auch erlaubt, ein wirklich langes Leben zu führen – ein Leben, welches länger als nur ein halbes Jahr dauern sollte, und tatsächlich das Originalprojekt so gut kopiert oder daran angelehnt ist, dass es selbst als Original durchkommt. «Star Wars» brachte in den 1970er Jahren das Science-Fiction-Genre ins Fernsehen, welches mit «Battlestar Galactica» und «Star Trek: The Next Generation» in den späten 70ern, 80ern und 90ern seine Blütezeit erlebte. «Hill Street Blues» in den 80ern war nicht nur der Start von seriellem Fernsehen, sondern brachte eine Welle von charakterstarken Polizeidramen mit sich, die mit «NYPD Blue» einen Höhepunkt erlebte und heute die Kreation von «CSI» und Konsorten mit sich brachte. Und zu guter Letzt das Musicalgenre, 2001 dank «Moulin Rouge» wiederbelebt und durch «Chicago» in die Welt des Mainstreams verfrachtet, was uns «High School Musical» und «Glee» brachte. All das waren und sind Hypes, die sich selbst überlebt haben und unzählige fiktionale Formate auf dem Markt brachten und weiter bringen. Im letzten Jahr gab es ein Wiedersehen mit einem neuen alten Hype: «True Grit», welches in diesem Jahr weltweit knapp 251 Millionen US-Dollar einspielte, brachte das Westerngenre zurück in die Gedanken der Autoren, Produzenten und Zuschauer. Ein Genre, welches schon in den 1950er Jahren die fernsehschauenden Massen beeindruckte.

Die heutigen Großväter träumen gerne in die Zeit zurück, in welcher sie als Kinder begeistert vor den Bildschirmen saßen und ihre Generation in eine völlig unerwartete Richtung lenkte. Als die Röhre in den 1940ern und 50ern als allabendliche Familienzusammenkunft und kurzzeitiger Flucht vor der eigenen Realität immer populärer wurde, wuchs die Anzahl von Fernsehserien, welche den Familien genau das ermöglichte. Es ist auch kein Zufall, warum das Westerngenre in den 50er Jahren ebenfalls an Popularität gewann: Mit knallharten und spannenden Schießduellen gab es in der Welt von Hollywood nicht nur die Akzeptanz einer Zeit und Welt, die eigentlich längst hätte vergessen sein müssen, sondern auch Geschichten, die erwachsen und düster waren; welche ansprechend und fordernd waren; welche Woche für Woche einfach nur cool aussahen. Männer, die mit Pistolen umgehen können. Männer, die lässig ein Pferd reiten können. Männer, die keine Angst vor ihren bewaffneten Feinden haben und neben einem Schuss Whiskey auch gerne mal den weiblichen Gastcharakter der Woche beflirten und verführen. Cowboys – die Helden einer Generation, welche den ersten wahren Trend der Fernsehgeschichte kreierte.

Für heutige Standards hielt der damalige Westerntrend auch recht lange. «Hopalong Cassidy» gilt als allererste Westernserie im amerikanischen Fernsehen – 1949 auf NBC ein unverhoffter Erfolg, welcher den Titeldarsteller William Boyd zum Star machte, und den Charakter zum Helden unter den zuschauenden Kindern. Als Image auf der Lunchbox, auf der Titelseite von dutzenden Magazinen, Merchandising, welches 70 Millionen US-Dollar einbrachte. Damals hatte sicher noch keiner gedacht, dass das Westerngenre allgemein jemals zu einem Hype aufsteigen könnte. Doch die Einfachheit der Geschichten, welche trotzdem anspruchsvoll wirkten, brachte die Zuschauer zurück ins 19. Jahrhundert, um mitzuerleben, wie die Generationen vor ihnen die Welt meisterten – ohne Politik, ohne festen Gesetze, mit Sand unter den Stiefeln und Pferdestärke statt motorisierten Vehikeln. Es war eine Welt, welche nicht von Jedermann gekannt wurde. Eine Welt, die quasi als Geschichtsstunde stand – immerhin basierten viele Westernserien auf wahre Ereignisse oder kreierten Charaktere, die eine geschichtliche Grundlage hatten.

In den 50er und 60er Jahren entwickelte der Western sich zum unverzichtbaren Genre im Fernsehen. Der Höhepunkt wurde 1959 erreicht, als 26 verschiedene Westernserien auf den drei großen Networks NBC, ABC und CBS liefen. «Gunsmoke», mit 20 Staffeln und 635 Episoden die langlebigste fiktionale Primetimeserie in den USA, befand sich zu dieser Zeit in der fünften Staffel und war in den drei vorherigen Jahren das Nummer-eins-Programm im Fernsehen. 1959 war auch die Geburtsstunde der wohl bekanntesten Westernserie «Bonanza», welche nicht nur Michael Landon und Lorne Greene zu TV-Stars aufstiegen ließen, sondern auch NBC zur Spitze verholfen hat. Und während «Gunsmoke» in seinen Jahren neun bis elf mit Zuschauerschwund zu kämpfen hatte und nach seiner zwölften Staffel fast abgesetzt wurde (und nur dank William Paley, damaliger Geschäftsführer von CBS, im Programm behalten wurde), setzte sich die Serie um die Cartwright-Familie an die Spitze der Quotencharts. «Bonanza» fand Januar 1973 nach 14 Staffeln und 430 Episoden sein Ende – die zweit-langlebigste Westernserie hinter «Gunsmoke», dessen letzte Episode März 1975 über die Bildschirme flimmerte.

Dass das Westerngenre in den späten 1960er Jahren langsam aus dem Fernsehen verschwand, lag an der ansteigenden Gewalt innerhalb der Serien. Während Farbfernsehen langsam aber sicher allgegenwärtig wurde, gab es Beschwerden von verschiedenen Elternlobbys, deren die Gewalt in solchen Serien mit der Zeit zu viel wurde. 1969 war das Jahr, in welchem die drei großen Networks keine neue Westernserie mehr ins Programm aufnahmen und stattdessen heimlich entschieden, die noch laufenden Serie auslaufen zu lassen. Auch das Verschwinden der Zielgruppenzuschauer war ein Grund dafür, warum Westernserien in den frühen 70ern nicht mehr angesagt waren. Während die jungen Zuschauer seit den 50ern mit ihren Westernserien aufgewachsen und älter geworden sind, fielen sie bald automatisch aus der von den Sendern anvisierten Zielgruppe heraus. Die Demografie der Serien wurde mit jedem Jahr älter und demnach wurde es jedes Jahr schwieriger, die Werbekunden zu überzeugen. Vor allem weil die jungen Zuschauer nicht einschalteten und stattdessen die Sitcoms bevorzugten. 1971 löste «All in the Family» auf CBS die Westernserie an der Spitze der Nielsen-Ratings ab und verharrte dort für fünf Jahre.

Der Western war jedoch nie vollständig ausgestorben. Autoren und Produzenten versuchten in anderer Form die Geschichten des späten 19. Jahrhunderts zu erzählen und entfernten sich vom klassischen Western. Während mit «Gunsmoke» der letzte klassische Western 1975 sein Ende fand, gab es schon zwischen 1965 und 1969 mit «The Wild Wild West» einen Versuch, den typischen Western durch urbane Eigenschaften aufzulockern und zu verändern – und das nicht nur, um den dank Ian Flemings James Bond aufsteigenden Spionagethriller Herr zu werden. Nach dem 1968er Clint-Eastwood-Film «Coogans großer Bluff», welcher einen Westerncharakter in die moderne Welt verlegte, wurde das NBC-Drama «McCloud» modelliert, welches zwischen 1970 und 1977 lief (und als frühe Vorlage von FXs «Justified» gilt). Die kurzlebige NBC-Serie «Hec Ramsey» gestattete sich sogar Neuland zu betreten, nachdem es die erste Westernserie war, welches in der Zeit nach dem Verblassen des Alten Westens angesiedelt war (Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert) und authentische Krimihandlungen in die Geschichten mit eingebunden hat. ABCs «Kung Fu – Im Zeichen des Drachen» ging 1972 sogar soweit, die Pistolen und Sheriffs durch einen Mönch mit Kampfkünsten zu ersetzen.

Das Westerngenre im Fernsehen war zwar faktisch am Aussterben, doch die Modernisierung des Genres fand immer noch statt. CBS versuchte vor allem, in den 90ern sein Samstagsprogramm mit «Dr. Quinn – Ärztin aus Leidenschaft» und «Walker, Texas Ranger» aufzupeppen, und schafften mit diesen beiden Serien nicht nur zu beweisen, dass der Samstag als Fernsehtag noch nicht aufgegeben werden sollte, auch war das Genre kurz davor, ins neue Jahrtausend gerettet zu werden. Mit dem Ende der Geschichten von Michaela Quinn endete allerdings auch der Versuch der Networks, das Westerngenre wieder zurückzubringen. Mystery und Science-Fiction waren in dieser Zeit der Renner, und führten zum Siegeszug der seriellen Serien mit Action und Thrillerelementen, die auch besonders die Gemüter der Amerikaner nach 9/11 besänftigen und beruhigen sollte – nicht umsonst waren Serien wie «Alias» und «24» zu dieser Zeit gefragt gewesen. Der Western selbst lag nun in den Händen des Kabelfernsehens. Mit Ausnahme von HBO und «Deadwood» sowie FXs Sheriff-Adaption in eine moderne Kleinstadt mit «Justified» gab es jedoch keinen wirklichen Versuch, die Pferdereiter und Pistolenjonglierer als die Antihelden darzustellen, die sie heute sein sollen.

Bevor jedoch die Brüder Joel und Ethan Coen mit ihrem überraschenden Westernerfolg «True Grit» daher kamen, war es der Kabelsender AMC, welches bereit war, das Genre wieder zurückzubringen. Im Mai 2010 gab es eine Pilotbestellung für «Hell on Wheels», welches sich seit 2008 in der Entwicklung befand, und bevor «True Grit» auf die Massen losgelassen wurde, bestellte AMC eine komplette Staffel von «Hell on Wheels» – als hätte der Sender vorhergesehen, dass das Westerngenre nur ein paar Monate später wieder gefragt sein würde. Direkt nach dem «True Grit»-Erfolg pilotierte NBC das Perioden-Westerndrama «Reconstruction», welches die Geschichte eines Mannes erzählt, der nach der Niederlage der Südstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg durch den Bundesstaat Missouri reist und ein Zeuge des Wiederaufbau des Lebensgeistes der Südstaaten ist, nachdem viele Menschen nicht nur ihre Familien verloren hatten, sondern auch mit dem wachsenden Rassismus (kommend vom Ku Klux Klan) zu kämpfen hatte. «Reconstruction» ging nicht in Serie, was NBC trotzdem nicht davon abhielt, zwei weitere Westernprojekte in Auftrag zu geben: Aktuell befinden sich ein Projekt von «Friday Night Lights»-Autor und -Produzent Peter Berg und Liz Heldens, sowie das in den 1840er Jahre spielende «The Frontier» von Shaun Cassidy («Invasion») in Entwicklung. Letzteres soll von TV-Regisseur Thomas Schlamme inszeniert werden, der als guter Freund von Aaron Sorkin mehrere «The West Wing»- und «Studio 60 on the Sunset Strip»-Episoden leitete, und aktuell als Produzent für die ABC-Retroserie «Pan Am» beschäftigt ist.

Auch ABC beteiligt sich am neuen Hype und kaufte in diesem August den Westernpiloten «Hangtown», welcher von Ron Moore geschrieben wurde, der für die Neuauflage von «Battlestar Galactica» verantwortlich war. «Hangtown» wird in den frühen 1900er Jahren angesiedelt sein, und als Procedural die Geschichten eines Fälle lösenden Marshals und forensischen Doktors, sowie eine Autorin mit dem Hang, Groschenromane zu verkaufen, erzählen. Ron Moore war auch im Gespräch, als es darum ging für CBS «Wild Wild West» ins 21. Jahrhundert zu bringen – was nach dem bösen Flop des 1999er Filmes mit Will Smith in der Hauptrolle jedoch ein fragwürdiges Projekt war. Bis heute hat CBS sich nicht dazu bewegen lassen, eine Pilotfolge für die «Wild Wild West»-Adaption zu bestellen. FOX hat sich ebenfalls eingemischt, und erwarb sich die Rechte für einen Westernpiloten vom Autorenteam Alex Kurtzman und Roberto Orci – verantwortlich für die Drehbücher zum «Star Trek»-Reboot, zum zweiten «Transformers», sowie für CBS' «Hawaii Five-0»-Update. In der noch unbetitelten Serie sollen die frühen Jahre von Wyatt Earp und seinen Brüdern erzählt werden.

All diese Projekte sind zur Zeit in ihrer frühen Entwicklungsphase und es ist noch nicht sicher, ob sie es zum nächsten Herbst in die Programmpläne der Sender schaffen. Fast sicher scheint jedoch TNTs Versuch, das Westerngenre anpacken zu wollen. Vor zweieinhalb Monaten bestellte der Sender einen Piloten zu «Gateway» (alternativer Titel: «Tin Star»), eine Geschichte über drei Brüder im Colorado der 1880er Jahre, welche die Stadt Gateway beschützen wollen, nachdem ihr Vater, der Sheriff der Stadt, ermordet wird. Für das Projekt wurden unter anderem Keith Carradine (der eine junge Version von Caine in «Kung Fu» spielte), Keir O'Donnell («Wedding Crashers») und Cam Giganet («Easy A») gecastet. Die Bestellung zur Serie ist jedoch noch offen. Bei TNTs Versuchen, in seinen Serien etwas abwechslungsreicher und anspruchsvoller zu sein, was dank des Erfolges von «Falling Skies» in diesem Jahr funktionierte, und mit Hilfe von «Dallas» im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll, kann man durchaus eine Serienbestellung erwarten.

Die Westernprojekte von heute und morgen werden sich jedoch grundsätzlich von ihren Vorgängern von vorgestern unterscheiden müssen. Obwohl der Western allgemein als zu alt und zu kompliziert, um das junge Publikum anzuziehen, beschrieben wird, sind die Autoren trotzdem fasziniert über die Möglichkeiten, welche das Genre mit sich bringt: Antihelden als Protagonisten; ein düsteres Seriensetting, welches als Spiegelbild des 19. Jahrhunderts und gleichzeitig auch als Parabel für die Zuschauer dienen soll; sowie Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein können. Die Welt des Fernsehens hat sich seit den 1950er Jahren verändert, und mit dieser auch die Art und Weise des Geschichtenerzählens. Für eine gute Portion Drama und charakterstarken Geschichten lohnen sich Serien, in welchem die Protagonisten nicht nur Antihelden sind, sondern auch hin und wieder als Antagonisten durchscheinen. Dexter Morgan und Walter White sind aktuell die beiden besten Beispiele im US-Fernsehen, wie so etwas funktioniert. Und es scheint mehr als einfach für heutige TV-Autoren zu sein, solche Charaktere in der einen oder anderen Form in den Alten Westen zu bringen.

Ob der neue Hype, der sich erst noch richtig entwickeln muss, jedoch lange anhalten wird, ist eine andere Frage. Erste Kritiken für AMCs am morgigen Sonntag startendes «Hell on Wheels» sehen nicht unbedingt eine rosige Zukunft der Serie bevor, und es ist fraglich, ob auch die Zuschauer auf den Westernzug aufspringen werden. «Deadwood» hat seine vielen Fans, jedoch war die Serie und das Genre wie geschaffen für das Bezahlfernsehen, welches sich keinerlei Regeln beugen muss. Ob die Networks und Kabelsender es jedoch schaffen werden, das Genre konkret anzupacken, ist eine völlig offene Frage, die von Fans des Genres mit Zweifeln gestellt wird. Sollte «Hell on Wheels» ein Zuschauererfolg werden, ist nicht auszuschließen, dass nicht nur die aktuellen Westernprojekte mehr Beobachtung erfahren, sondern auch neue Piloten aus dem Boden geschossen kommen. Wünschenswert wäre es ja. Die Anwalts-, Cop- und Ärztedramen brauchen einen Konkurrenten, um das Bild der Networks abwechslungsreich zu gestalten. Anderweitig wird es langweilig, wenn jedes Jahr die selben Serien auf dem Markt geworfen werden, welche allesamt floppen, weil sie nicht einzigartig genug sind.

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