Popcorn & Rollenwechsel

Deutschland, deine Filme

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Wenn die deutsche Filmlandschaft nur drei Filme beherrscht und sie immer wieder neu rausbringt, wieso beklagt sie sich dann eigentlich über niedrige Besucherzahlen?

Vergangenen Donnerstag startete mit «Resturlaub» die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Tommy Jaud in den deutschen Kinos. Die Kritikerreaktionen waren generell sehr verhalten und als Publikumsmagnet stellte sich die Komödie ebenfalls nicht heraus. «Resturlaub» erreichte an seinem Startwochenende rund 210.000 Kinobesucher und liegt somit weit hinter dem anderen Neustart der Woche («Planet der Affen - Prevolution» mit ca. 425.000 Besuchern) und den letzte Woche gestarteten Schlümpfen (etwa 375.000). Kein Totalflop, aber doch recht ermüdende Zahlen.

Recht ermüdend, das ist auch die stilistische Vielfalt der deutschen Kinolandschaft. Blendet man die gelegentliche, im Arthouse-Sektor auftauchende Ausnahme aus, so scheint der deutsche Film aus drei Arten von Produktionen zu bestehen: Romantische Komödien («Keinohrhasen», «Kokowääh», «Männerherzen»,…), Blödelkomödien variierender Qualität (vorzugsweise von TV-Komikern wie Otto, Bully oder Tom Gerhardt) und dramatische Vergangenheitsbewältigung. Kein Jahr vergeht, in dem nicht erneut das Ende des Holocausts hinauf beschworen wird. Um es „frisch“ und „abwechslungsreich“ zu halten, beschäftigen sich deutsche Regisseure alle Jubeljahre auch mal mit dem Mauerbau, der Stasi oder vielleicht einmal auch mit der RAF («Der Baader Meinhof Komplex»).

Während die ersten beiden Filmarten für den Löwenanteil an Kinobesuchen zuständig sind, prägt die letzte das internationale Bild des deutschen Kinos. Sechs von sieben seit 1998 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominierten deutschen Produktionen behandeln dunkle Kapitel der deutschen Geschichte. Die einzige Ausnahme stellt Charlotte Links Debüt «Jenseits der Stille» über ein hörendes Kind gehörloser Eltern dar. In der selben Zeitspanne wurde Frankreich ebenfalls sieben Mal nominiert. Unter diesen Filmen befanden sich neben zwei obligatorischen Weltkriegs-Geschichten zwei Geschichten über engagierte Lehrer (der inspirierende Film «Die Kinder des Monsieur Mathieu» über einen Internatschor sowie das Gegenwartsdrama «Die Klasse»), ein Kriminaldrama, die romantisch-intellektuelle Komödie «Lust auf anderes» und die märchenhafte Komödie «Die fabelhafte Welt der Amélie». Ein vielfältiges, reizvolles Repertoire.

Sehr viele Kulturhüter, die US-amerikanische Filme verachten, höhnen über die Einfallslosigkeit amerikanischer Filmemacher. Haben diese hochnäsigen Spötter überhaupt jemals etwas anderes gesehen als «Durchschnittliche Romantikkomödie voller verflucht hübscher Menschen, saudämlicher Missverständnisse, einer obligatorischen Slapstickszene und kitschig-salzigem Happy-End – Teil 12»? Mal ganz davon zu schweigen, dass sich hiesige Autoren und Regisseure diesem Einheitsbrei genauso schuldig machen wie Hollywood, so bieten US-Filme genügend anderen Stoff, als diese immergleiche Filmidee. Natürlich kann man für jeden zweiten Actionfilm mindestens zehn ähnliche aufzählen, jeder moderne Western hat rund drei überdeutliche Vorbilder und heutige Horrorfilme fallen stets in eine von drei Kategorien: Teenie-Slasher, «Saw»-Kopie oder «Ja, wir haben damals diesen Blair-Witch-Film gesehen, aber das ist total anders, unsere Wackelkamera ist viel hochauflösender». Aber in den USA gibt es zumindest ambitionierte Western, erfolgreiche Horrorfilme und Actionfilme über dem Niveau einer Episode von «Alarm für Cobra 11». In Deutschland muss man seit einigen Jahren abseits des Arthouse mit der Lupe nach Alternativen zu «Resturlaub» und «Der Untergang» suchen.

Dies soll keinesfalls eine Schimpfrede sein, dass deutsche Filmschaffende untalentiert seien. In Deutschland gibt es mindestens genauso viele originelle Ideen, kreative Konzepte und wagemutige Einfälle wie in Hollywood. Aber was man nicht genug anklagen kann: Die deutsche Filmlandschaft befindet sich in der akuten Gefahr, zu einem kreativen Inzuchtverein aus Blödel- und Romantikkomödien sowie Nazi-Dramen zu werden. Die ersten beiden Genres haben sich bereits öfter vermischt und eines Tages wird es so weit sein, und wir sehen im Kino Cindy aus Marzahn als Eva Braun, die befürchtet, dass ihr geliebter Adolf (Matthias Schweighöfer) sie nicht mehr attraktiv findet. Aber mit der Hilfe der verfressenen und dauerbesoffenen Jogginganzug-Fanclubs (Tom Gerhardt, Oliver Pocher und Rick Kavanian) kommt alles wieder in Lot.

So weit darf es nicht kommen. Und Deutschland darf sich nicht weiter damit rausreden, dass für große Action oder ambitionierte Science-Fiction keine Ressourcen zur Verfügung stehen. Aus Frankreich kommen schließlich auch Filme wie «Taxi», «Das fünfte Element», «The Transporter» oder «Pakt der Wölfe». Und man kann nicht gerade behaupten, dass diese kommerziellen Filme dem französischen Kunstkino das Geld abgraben. Man muss nur einmal ein Programmkino betreten, und schon wird man von französischen Dramen und Tragikomödien erschlagen. Wenn man sich ansieht, welches Produktionsniveau die Filme von Michael „Bully“ Herbig oder Til Schweiger erreichen können, dann kann die deutsche Filmwirtschaft unmöglich behaupten, nicht auch Finanzierung für einen ernst gemeinten Ritterfilm an Stelle von «1½ Ritter» auf die Beine zu stellen. Was klingt publikumsträchtiger: Ein Haufen Fernsehkomiker, die im Kettenhemd alte Witze nachstellen, oder ein packendes Schlachtenepos, inszeniert von einem dynamischen Jungregisseur. Meinethalben auch mit Ralf Möller in einer Gastrolle als riesiger Ritter, der in der dritten Actionsequenz dem Nebenbuhler des Helden den Kopf abreißt und danach von einem brennenden Pfeil getroffen wird.

In Deutschland gibt es genügend Genreideen, die aus den bewährten, jedoch überreizten Schemata ausbrechen. Letztes Jahr kam mit «Wir sind die Nacht» ein moderner Vampirthriller heraus und floppte prompt. Eine populäre Begründung: Der romantische Subplot sei in so einem Film deplatziert. Klar, denn Vampire waren ja noch nie romantisch… Im September startet mit «Hell» ein solider postapokalyptischer Thriller in den deutschen Kinos, und vielleicht wird man mit dem Produzenten Roland Emmerich ordentlich auf Zuschauerfang gehen. Die Möglichkeiten sind in Deutschland gegeben, und wie Frankreich beweist, kann man nach Hollywood-Größe und -Genres greifen, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Der Mut muss wieder nach Deutschland zurückkehren, anderweitig kann man nicht das Vertrauen der Kinogänger gewinnen. Wie häufig höre ich, vor allem von Jugendlichen: „Ein deutscher Film? Das kann ja nichts werden!“ Bei Romantikkomödien, weil man das schon so oft hatte, bei Genre-Fremdlingen, weil Deutschland ja darin keine Erfahrung hätte. Man muss also ins kalte Wasser springen, und so beweisen, dass man sehr wohl anders kann. Und gut.

Es muss nicht einmal teuer sein. 1998 revolutionierte «Lola rennt» die eingeschlafene deutsche Filmlandschaft. Es folgten für Deutschland so ungewöhnliche Kassenschlager wie «Anatomie» und «Das Experiment» sowie eine Reihe wirklich engagierter Erich-Kästner-Adaptionen. Doch nach einem kurzen Aufschwung verschwanden die Genre-Filme wieder in die Versenkung und der deutsche Kinderfilm mutierte zu schalem Schein wie «Rock it!». Gewiss, Bullys, Ottos und später auch Til Schweigers Komödien hielten den deutschen Film finanziell aufrecht, und viele dieser deutschen Erfolge waren auch sehenswert. Aber deshalb muss man ja nicht der Abwechslung abschwören. Gerade Til Schweiger muss doch nach mehr streben, als eine farbgefilterte Romantikkomödie nach der anderen zu drehen. War sein Regiedebüt doch eine Hommage an Quentin Tarantino. Und auch Bully strebt nach anderem, betont er in Interviews immer wieder, er wolle endlich einen Action- oder Abenteuerfilm drehen. Mit insgesamt ca. 30 Millionen Kinogängern im Rücken sollte er das ja wohl irgendwie verwirklichen können. Seine Wickie-Adaption war ja schon annähernd ein Schritt in die richtige Richtung…

Also, Film-Deutschland. Überrasche deine potentiellen Zuschauer. Dann trauen sie dir auch wieder mehr zu als nur betroffene Geschichtsstunden und scherzende Romanzen.

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