Hingeschaut

«24»: Jack Bauers finale Schadensbegrenzung

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Für Jack Bauer ist die Uhr abgelaufen. Vor zwei Wochen war mit dem Ende der achten Staffel zugleich das Serienfinale von «24» gekommen. Am gestrigen Montagabend schloss auch kabel eins das letzte Kapitel.

Gegebene Situation: Ein weitestgehend gesichtsloses Kommando Terroristen unter der Führung des skrupellosen Samir Mehran ist nach Stunden der Anspannung endlich im Besitz der gewünschten nuklearen Brennstäbe. Ihr Ziel ist die Detonation inmitten des Herzens von Manhattan. Ein Ziel, das Farhad, dem intriganten Bruder des kamistanischen Präsidenten, wenig zusagt. Er, der seinen Landsmännern das Uran organisiert hat, wird nun von ihnen hintergangen. Er flüchtet, wird angeschossen und nimmt Kontakt zu Jack Bauer auf, der leider zu spät am Tatort eintrifft und so Zeuge des Todes Farhads wird. Doch statt die Ermittlung an anderen Fäden wieder aufzunehmen, lässt die Counter Terrorist Unit offiziell verlauten, Farhad habe überlebt. Das ruft selbstverständlich erneut Samir auf den Plan, der nun den jungen Marcos, Sohn einer Amerikanerin, mit einer Sprengstoffweste in das entsprechende Krankenhaus schleußt, in dem Jack und seine Einheit bereits auf ihn warten.

Was würde in einer realitätsnahen Serie geschehen? Marcos, dessen Ziel die Eliminierung des angeblich komatösen Zeugen Farhad ist, würde mit einer regulär aufgebauten Weste bzw. einem Gürtel in dessen Zimmer eindringen. Dort würde er den Finger vom Schalter der einem Stift ähnlichen Vorrichtung lösen, den er bislang fest nach unten gepresst hat. Augenblicklich würde die Explosion vonstatten gehen. Dies ist die vornehmlich übliche Vorgehensweise bei rekrutierten Selbstmordattentätern, die einem zu erwartenden Anflug von Angst vorbeugt. Wird die jeweilige Person ange- oder erschossen, so löst sich der Finger automatisch vom Schalter – der Erfolg der Mission ist also gewährleistet.

Was geschieht in «24»? In dramatischen Minuten ermittelt Chloe mithilfe der Videoüberwachung den Störcode der Weste und aktiviert daraufhin die entsprechende Frequenz. Marcos findet Farhads Leichnam vor und wird sich anschließend des Problems bewusst. Er flieht in eine luftdichte Dekompressionskammer und telefoniert daraufhin mit Samir, der ihm erklärt, wie er nun vorgehen muss. Durch mühsame Handarbeit muss Marcos vier Schaltkreise der Weste umgehen, um die Sprengung vorzunehmen. Die Spannung steigt und der Zuschauer muss sich fragen, welche Sorte Terrorist eine solche Weste konstruiert? Die technisch begeisterte Sorte. Offensichtlich. Der wahre Clou lässt alllerdings auf sich warten: Jack missbraucht Marcos' Mutter als Druckmittel, welcher nachgibt und aus der Kammer tritt, um mit dem Agenten zu kooperieren. Samir, dessen Männer sich unlängst in das Überwachungssystem gehackt haben und den Feigling Marcos beobachten, sehen sich nun zum Handeln gezwungen. Sie aktivieren die Weste und zwei Sekunden nachdem Marcos einen Namen ausgespuckt hat, zerfetzt es ihn in dreiundsiebzig Teile.

Sicherlich, «24» war schon immer auf diese Art und Weise strukuriert. Nach acht Staffeln und mehr als 150 Episoden fallen diese Storyschnitzer aber erstens auf und zweitens ins Gewicht. Die Autoren der inzwischen abgesetzten Action-Serie, die auch aus Sicht der Einschaltquoten schon seit Langem nicht mehr an ehemalige Erfolge anknüpfen konnte, machten zuletzt keinen Hehl aus der Tatsache, dass ihnen schlicht die Ideen fehlen. Dass Samir, der bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Gewissen gezeigt hat, zwischem dem Augenblick, in dem Marcos die Arbeit an den Schaltkreisen beendet und jenem, in dessen Rahmen er im Begriff ist vor Jack auszupacken, etwa zwei Minuten verstreichen lässt, nahm dieser durchaus interessanten Situation aber wie auch vielen ähnlichen den Reiz. Selbst Kim Bauer im Angesicht eines Berglöwen hätte hier nicht gezögert.

Im Gegensatz zu den Vorgängerstaffeln, die sechs Mal in Los Angeles und einmal in Washington spielten, verwirklichten die Produzenten um Howard Gordon im vergangenen Jahr ihren Traum und machten New York City zum neuen Paradieszielort für Terroristen. Inhaltlich hielt der Wiederaufbau von Jacks ehemaliger Arbeitsstelle CTU als Motiv für den Schauplatzwechsel her, auf die man in Season sieben verzichten musste. Zumindest für den deutschen Zuschauer brachte der Big Apple nicht den erwünschten Freudentaumel mit sich – geschadet hat es aber natürlich nicht. Neben der stillen Revolution konnte man sich als «24»-Junkie immerhin auf ein Storyelement gänzlich verlassen: Den Maulwurf. Bei ihrem Versuch, die Spur soweit wie möglich vom eigentlichen Verräter zu lenken, haben die Autoren allerdings ein Eigentor geschossen, das seinesgleichen sucht. Doch der Reihe nach.

Der Plot: Tag acht, der insgesamt 18 Monate nach dem Ende des siebten einsetzt, offenbart einen genesenen Jack, der nichts lieber täte, als mit seiner Enkelin und deren Mutter Kim zurück in die Stadt der Engel zu kehren. Einen Strich durch diese Rechnung macht ihm ein alter Informat, der von einem geplanten Attentat auf den kamistanischen Präsidenten Omar Hassan berichtet. Dieser befindet sich gegenwärtig in abschließenden Verhandlung mit Präsidentin Taylor, um den Frieden zwischen den beiden Nationen zu gewährleisten. Wie bereits der erste Absatz deutlich machte, wird Hassans Bruder Farhad in seiner Rolle als Judas enttarnt. Dies führt vom Terroristen Davros zum Russen Vladimir, dessen Gruppe man mithilfe von Renee Walker unter dem Deckmantel einer früheren Undercoveroperation infiltriert. Doch obwohl Jack von der CTU in gewisser Weise das Kommando erhalten hat, will nichts wirklich gelingen.

Das führt uns zum erwähnten Maulwurf und somit einer der grausig geschriebensten Figuren des gesamten Serienkosmos: Dana Walsh, verkörpert von Katee Sackhoff. Stunde um Stunde sah man sich mit ihrer unfassbar monotonen Vergangenheit konfrontiert - in Gestalt von Kevin Wade (Clayne Crawford), der gemeinsam mit Kumpel Nick droht, das kriminelle Leben aufzudecken, das Dana dank ihrer technischen Fertigkeiten gänzlich hinter sich gelassen hat – sollte sie den beiden nicht helfen, ans große Geld zu kommen. Sogar ihren lieblichen Verlobten Cole Ortiz (Freddie Prinze Jr.) hat die Gute belogen. Nachdem man sich endlich mit der konstanten Spaßbremse alias Storyline abgefunden hatte und sie durch die neue Initiative Danas auch endlich in einem Showdown münden zu scheint, taucht der verwirrte Prinze Jr. auf und zieht die Angelegenheit weiter in die Länge. Doch noch war der Verstand lediglich gelangweilt, nicht intolerant. Bis sich herausstellt: Dana wurde in ihrer Jugend von russischen Agenten rekrutiert und ausgebildet, um zum rechten Zeitpunkt dienlich zu sein. Silent clock, where are thou? Der erfreuliche Blickwinkel: Nun konnte es nur noch aufwärts gehen.

Und tatsächlich. Langsam, aber sicher nahm die bislang verhaltene Staffel an Fahrt auf. Präsident Hassan, - dank Darsteller Anil Kapoor («Slumdog Millionaire») ein durchweg sympathischer Zeitgenosse -, wurde um die Ecke gebracht und der Startschuss für den zweiten großen Part von Staffel acht konnte fallen. Nein, Jack erhielt keinen Anruf von Audrey Raines, die als Geisel von einigen wütenden Chinesen fungiert. Das Unheil ging an diesem Tag ohne Zweifel nicht von China, sondern Russland aus, dessen Präsident Yuri Suvarov den Terroristen das Uran in die Hände spielte. Während Jack das selbstverständlich an die große Glocke hängen möchte, plagt seine Präsidentin die Sorge. Durch diese Vorwürfe würden die Russen vom Verhandlungstisch treten und der Frieden mit Kamistan käme nie zustande. Unterstützung erhält sie von einem alten Bekannten. Der großartige Gregory Itzin nahm seine nicht minder großartige Rolle als Charles Logan wieder auf, die so dank einigen Kontakten und einem fantastischen Bluff zurück ins Rampenlicht fand. Bevor die beiden kontrahierenden Seiten aber in die letzte Runde zogen, wurden die Spielsteine noch rechtens positioniert. Dem Spiel zum Opfer fiel Renee Walker, mit der Jack gerade noch an eine glückliche Zukunft glaubte. Ein Heckenschütze ließ die Seifenblase platzen.

Durch diesen tragischen und hinreichend iszenierten Tod wollten die Autoren die künftigen, notwendigen Handlungen von Jack rechtfertigen – unter anderem die kaltblütige Hinrichtung von Dana und sein lang vermisstes Folterstündchen. Serienstil hin und her, als Fan stellte man sich doch die Frage, ob der Rachefeldzug nicht auch ohne diesen Mord funktioniert hätte. Das Potential der Figur Renee war immerhin noch nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft, wie ihre Verbindung mit Vlad und deren blutiges Ende eindeutig bewiesen. Der Radikalismus machte die letzten Episoden der Staffel zwar erst sehenswert, doch theoretisch hätte man diesen auch beibehalten können, ohne Jack auch diesen Strohhalm für immer zu nehmen. Der manipulative Logan, die wieder rational denkende Chloe (Nach all den Jahren endlich als Chefin der CTU) und die strauchelnde Präsidentin Taylor machten den Schnitzer jedoch wieder wett und brachten «24» nach mehreren schlicht unterdurchschnittlichen Stunden wieder auf den Damm. Erneut wurde die Serie ihrem Ruf gerecht, als einziges Fernsehformat in Bezug auf Action und Spannung ganze Kinofilme in den Schatten zu stellen. Das Finale selbst, in dessen Rahmen Madame President nicht ganz unerwartet zurück zu ihren Sinnen findet und sich von Logan lossagt, war aber mehr Staffel-, als Serienende. Haben wir unseren tragischen Helden nicht schon einmal einsam in den Untergrund schreiten sehen? Doch wie inzwischen jedem klar ist, hat Jack Bauer nicht zum letzten Mal den Tag gerettet. Ob der kommende Kinofilm ein gutes oder profitables Konzept hat, ist eine ganz andere Frage. Ihr Publikum wird die Produktion aber mit Sicherheit finden. Ein gefesselter Jack, der dem Gegenüber die Halsschlagader durchbeißt, um sich zu befreien? Das oder vergleichbares muss man doch auf der großen Leinwand gesehen haben.

Diese Artikel erschien erstmals am 8. Juni, einen Tag, nachdem der Pay-TV-Sender Sky die achte Staffel «24» beendete.

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