360 Grad

Das Jessica-Alba-Syndrom

von
Julian Miller stellt sich die Frage, weswegen sich gute Schauspieler immer wieder schlechte Projekte aussuchen.

Jessica Alba ist eine gute Schauspielerin.

Nachdem ein Großteil der werten Leserschaft nun wohl in höhnisches Gelächter ausgebrochen ist oder meine geistige Gesundheit anzweifelt, werde ich das nun konkretisieren: Jessica Alba ist eine gute Schauspielerin, die sich leider immer wieder die falschen Projekte aussucht. Dass sie etwas von ihrem Beruf versteht, konnte sie schon in Robert Rodriguez' Neo-Noir-Epos «Sin City» beweisen, in dem sie zwar in der auf den ersten Blick durchaus stereotyp klingenden Rolle einer Stripperin zu sehen war, diese jedoch aufgrund des avantgardistischen Gesamtkonzepts so angelegt war, dass Alba ihr Potential voll ausschöpfen konnte. Leider blieb das so ziemlich der einzige Film in ihrer Vita, der jenseits des amerikanischen Action-Horror-Romanzen-Einheitsbreis lag.

Ob es sich nun um «Honey», ein vorhersehbares Coming-of-Age-Drama, das an allen Ecken und Enden im Kitsch ersäuft, oder etwa das debile «Fantastic Four»-Franchise handelt, konnte Alba in keiner dieser Rollen glänzen. Das liegt jedoch nicht an einem Fehlen von schauspielerischen Fähigkeiten, sondern an den einfallslosen und bis ins Mark klischeehaften Drehbüchern, deren Figuren sie, so gut es eben geht, zu beleben hat. Was dann leider dazu führte, dass ihr Image zumindest beim Großteil der amerikanischen Filmkritiker anscheinend nicht mehr zu retten ist. So lieferte sie im Remake des Asia-Horror-Schinkens «The Eye» zwar keine atemberaubende Performance ab, doch für eine Nominierung für die Golden Raspberry war sie gewiss nicht schlecht genug.

Eine wirkliche Ausrede für ihren schlechten Geschmack bezüglich der Filme, die sie dreht, hat Alba dagegen schon lange nicht mehr. Nach über zehn Jahren im Geschäft ist sie nicht mehr zu jung und naiv, um gute Rollen von schlechten zu unterscheiden, und seit «Dark Angel» braucht sie das Geld nun auch nicht gerade dringend.

Doch Alba steht in der Branche in einer derartigen Position zwischen vorhandener Kompetenz und eigentümlichem Rollenauswahlverhalten nicht alleine da. Und so gänzlich ausweglos ist ihre Situation vielleicht ja gar nicht. Auch Leonardo DiCaprio galt noch zu «Titanic»-Zeiten als metrosexueller Coverboy, der als pures Eyecandy ohne jegliches schauspielerisches Vermögen einen Tränendrüsendrücker nach dem anderen raushaute. Bis Martin Scorsese ihn mit «Gangs of New York» unter seine Fittiche nahm und ihn in «The Aviator» endgültig beweisen ließ, dass er wirklich einer der fähigsten Schauspieler ist, die Hollywood derzeit zu bieten hat. Seitdem geht DiCaprio hirnlosen Drehbüchern zumindest größtenteils aus dem Weg.

Vielleicht lässt sich etwas Ähnliches ja auch in naher Zukunft für Jessica Alba einrichten. Alba als manipulative Mafiosa oder Waffen schwingende Taxifahrerin wäre wohl auf jeden Fall sehenswert.

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