Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Hat Harald Schmidt recht?

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Ein Kommentar zu Harald Schmidts Thesen über den Misserfolg von Oliver Pocher bei Sat.1.

Im ersten großen Interview nach der abgelaufenen Staffel seines neuen Formats im Ersten spricht Harald Schmidt über sein Theaterengagement in Stuttgart und natürlich auch über das Fernsehgeschehen. Die gesprächsführende FAZ verglich seine neue Show im September 2009 mit der US-Newssatire «The Daily Show» und resümierte: „In der ersten Hälfte kam «Harald Schmidt», das anders als die «heute-show» jetzt schon wöchentlich läuft und den charismatischeren Anchorman zu bieten hat, dem Stewartschen Format durchaus nahe.“

Ob der neue Kultur-Schmidt die (zugegeben diesmal niedrigen) Erwartungen bei seinem Comeback ohne Pocher erfüllt hat, ist von Rezensent zu Rezensent unterschiedlich. Jedoch kann niemand bestreiten, dass sich der Chefzyniker gegenüber dem oft peinlichen «Schmidt & Pocher» deutlich gesteigert hat. „Wenn Sie genau hingesehen haben, dann werden Sie auch festgestellt haben, dass ich Pocher in der Sendung oft mehr oder weniger teilnahmslos zugeguckt habe“, so Schmidt in der Retrospektive über die gemeinsame Zeit mit dem heutigen Sat.1-Sorgenkind. Im gleichen Atemzug erklärt Schmidt aber auch, warum es für Pocher in Sat.1 quotenmäßig nicht läuft: „Das, was Pocher passiert ist, hätte ich ihm systematisch erklären können.“

Es sei erstens so, dass das Publikum keinen Sender wechselt. Zweitens bräuchten die Zuschauer fünf Jahre, bis der Moderator den Sender gewechselt hat. Und drittens sei der Sendeplatz am Freitagabend gegen 22.15 Uhr schlecht gewählt. Hat Schmidt mit diesen drei Thesen, die auch generell gültig sein können, recht?

Im Grunde sind die neuen Sat.1-Moderatoren Kerner und Pocher das beste Beispiel für die Verifikation der Schmidt´schen Thesen. Beide neuen Sat.1-Gesichter hatten und haben mit Quotenproblemen zu kämpfen. Kerners Publikum ist eindeutig – auch in der Altersgruppe – im ZDF zu Hause. Demzufolge muss er für Sat.1 auch das Image ablegen, das er durch seine jahrelange Arbeit im ZDF erhalten hat. Er muss für die jüngere Zielgruppe interessant werden, denn er muss eine andere Zuschauerschicht erreichen als im ZDF. Die Zuschauer haben mit Kerner nicht den Sender gewechselt – er musste von vorn anfangen.

Bei Pocher ist es ähnlich: Sein Stammpublikum ist die ganz junge Generation der ProSieben-Zuschauer. ProSieben war auch der einzige Sender, wo er Quotenerfolg hatte, denn sowohl «Schmidt & Pocher» als auch die aktuelle «Oliver Pocher Show» liefen bzw. laufen unter den Erwartungen. Anders ausgedrückt: Pocher und das Sat.1-Publikum haben nicht zusammengefunden. Ob sie es jemals schaffen, ist eine hypothetisch interessante Frage. Ich habe an genau dieser Stelle am 03. April 2009 jenes Problem angesprochen, als Pocher noch nicht auf Sendung war: „Nicht nur Pocher wird sich verändern müssen, sondern auch der Sender selbst, wenn das Projekt erfolgreich werden soll. Denn eigentlich passen er und die Sat.1-Zielgruppe der Frauen und 30- bis 49-jährigen Zuschauer nicht wirklich zusammen.“

Im Grunde hat Schmidt auch damit recht, dass das Publikum lange braucht, bis es realisiert, wo welcher Moderator gerade arbeitet. Dass Kerner von vielen sicherlich immer noch als ZDF-Talker angesehen wird, ist wenig verwunderlich, weil er fast zehn Jahre lang täglich am späten Abend im Zweiten zu sehen war. Sat.1 tut genau das richtige, um ihn als eigene Institution in den Köpfen der Zuschauer zu verankern: Die Moderationen der Champions League sowie großer Abendshows wie demnächst «Das Duell» tragen zur Identitätsstiftung bei und helfen gleichzeitig, das Magazinformat «Kerner» am Donnerstag zu bewerben. Auch Oliver Pocher wird nicht als ARD- oder Sat.1-Gesicht gesehen, sondern am meisten wohl noch als ProSieben-Gaukler. Bis Pocher in Sat.1 angekommen ist, wird noch viel Programm über den Äther gesendet.

Dass im Spezifischen auch der Sendeplatz für den Misserfolg der «Oliver Pocher Show» verantwortlich ist, dürfte jedem Branchenkenner ersichtlich sein. Kurz vor dem Start der Show am Freitagabend schrieb ich in meiner Kolumne: „Von einem Erfolg der neuen «Oliver Pocher Show» ist daher umso weniger auszugehen. (…) Ob Pocher den Sat.1-Freitag retten kann? Wahrscheinlich nicht, zumindest nicht kurzfristig. Generell ist es für Late-Night-Shows schwierig, sich am Freitag zu etablieren – schon viele vor Pocher sind an diesem Tag gescheitert.“ Und ob Pocher überhaupt noch die Chance bekommt, seine Personality-Show im Herbst zum Erfolg werden zu lassen, ist höchst fragwürdig. Zunächst geht das Format in eine Sommerpause, zu weiteren Folgen hat sich Sat.1 bisher nicht geäußert. Senderchef Andreas Bartl wird schon jetzt einen Plan haben: Entweder darf es Pocher noch einmal auf einem anderen Sendeplatz versuchen oder es wird abgesetzt. Letzteres wäre die vernünftige Entscheidung. Es braucht einen Neuanfang mit einem auf Pocher zugeschnittenen Konzept. Ob dieser dann endlich fruchtet oder ob die Liaison mit dem Bällchensender bald als gescheitert abgestempelt werden muss, wird die Zukunft zeigen. Wie Schmidt schon sagte: „Das Publikum wechselt nicht den Sender.“ Deutschlands einziger Late-Night-Profi behält wieder einmal recht.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.

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