Hingeschaut

ZDF-Jahresrückblick: Achterbahnfahrt der Gefühle

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«Menschen 2009» lebte vor allem von Emotionen, Einzelschicksalen, aber auch seichtem Humor - ein Kommentar.

Das war er also, der Jahresrückblick des ZDF, zur besten Sendezeit präsentiert von Show-Titan Thomas Gottschalk. Nachdem Johannes B. Kerner, der vom Mainzer Sender vor einigen Monaten zu Sat.1 wechselte, schon am Freitagabend den ersten (auch für Sat.1) und umfangreichsten Jahresrückblick auf dem Bällchensender moderierte, schloss sich das ZDF zwei Tage später an. Die Aufgabe, die Kerner zuletzt ausgefüllt hatte, übernahm Thomas Gottschalk. Somit sollte es auch hier eine Premiere geben: Der «Wetten, dass…?»-Moderator, der sonst auf Samstagabend-Unterhaltung geeicht ist, schlüpfte also in die Rolle des investigativen Journalisten, der in «Menschen 2009» die Schicksale unterschiedlichster Persönlichkeiten nicht nur vorstellen und moderieren, sondern auch darauf eingehen muss. Wie gut ist ihm das gelungen? Nun, Thomas Gottschalk ist es schon immer zu Eigen gewesen, am Ende seiner Sendung ein kleines Fazit für sich zu ziehen und den Abend abzurunden. So auch diesmal: „Es war für uns sicherlich eine Achterbahnfahrt der Gefühle“, fasste Gottschalk am Ende der Ausstrahlung der aufgezeichneten Sendung zusammen und fügte an: „Wir wollten eigentlich bis zum Jahresende senden, aber das ist nicht ganz gelungen, wir versuchen es nächstes Jahr wieder, wenn man mich lässt“.

Da er uns diesen Ball schon zuspielt, nehmen wir ihn gerne auf: Ganz so kritisch muss der ZDF-Moderator nicht mit sich selbst sein, denn Gründe, warum man ihn nicht lassen sollte, lieferte er in «Menschen 2009» nicht. Vielmehr machte Gottschalk seine Sache souverän und mit überzeugender Ernsthaftigkeit. Nur gelegentlich war er zum Scherzen und den ihm eigenen Sprüchen zwischendurch aufgelegt, die meiste Zeit über signalisierte Gottschalk offensichtliches Interesse an den Geschichten seiner Gäste und hatte auch seine Fragen jeweils sehr gut überlegt, die schließlich auch beim Zuschauer für ein Interesse sorgten. Und so hat Gottschalk auch nicht ganz Unrecht, wenn er von einer „Achterbahnfahrt der Gefühle“ spricht - «Menschen 2009» lebte von Gefühlen, Einzelschicksalen und bewegenden Momenten. Doch der Reihe nach: Die bereits Ende November aufgezeichnete Sendung verwunderte erstmal durch hektische Schnitte als Thomas Gottschalk die Bühne betrat. Sollte sich ein Gast nach dem anderen erneut die Klinke in die Hand geben? Sollte «Menschen 2009» genauso von Zeitdruck geprägt sein wie der Kerner-Jahresrückblick auf Sat.1? Der erste Eindruck konnte schon wenige Minuten später beschwichtigt werden. Denn mit den einzelnen Themenkomplexen ließ man sich genug Zeit. Mit drei Stunden war auch genug Sendezeit eingeräumt worden, die – soviel vorab – größtenteils gut genutzt wurde.



Ein politischer Einstieg vermag nicht gerade jeden Zuschauer zum Dranbleiben zu animieren, doch dieser Einstieg gelang mit den Schriftstücken aus dem Bundestag von Karl-Heinz Schmitt recht locker. Gottschalk: „Wer kritzelt denn am meisten im Bundestag?“ – Antwort von Schmitt: „Die FDP“ – Gelächter im Publikum. Ebenso als Schmitt vom damals in Bonn sitzenden Bundestag erzählt: „Das Schönste daran war der Schnellzug nach München.“ Da wurde nicht direkt in politische Tiefen eingetaucht, auch nicht als Vize-Kanzler und Außenminister Guido Westerwelle auf dem Sofa neben Gottschalk Platz nahm. Die Couch war der von «Wetten, dass…?» ganz ähnlich. Ein Heimspiel für Gottschalk also. Westerwelle spielte ihm in die Karten, in dem er offen sprach und auch über keine Scheu hatte zu erklären, warum er einen Journalisten zum Deutsch-Reden aufforderte: „Ich kann auch Englisch sprechen, aber es geht ums Prinzip. Wir müssen uns nicht schämen, wenn wir Deutsch sprechen wollen“, sagte der Vize-Kanzler und hatte die Sympathien auf seiner Seite. Es folgte ein politischer Zusammenschnitt des «frontal 21»-Teams auf satirisch-ironische Weise (wird in voller Länge übrigens am 22. Dezember 2009 gezeigt). Da musste selbst Westerwelle ob der einen oder anderen Aussage von sich selbst oder eines Polit-Kollegen lachen.



Dann sprach Gottschalk wieder ein ernstes Thema an: Die Wirtschaftskrise. Eine Besitzerin zweier Berliner Autohäuser und ein ehemaliger Beschäftigter der Finanzbranche, der seinen Job verloren hatte, erzählten vor einer eindrucksvoll aufgebauten, weil passenden Kulissen von ihren Erfahrungen. Ohnehin: Das Bühnenbild passte sich seinen Themen stets an, auch wenn man mal auf der Couch oder mal in illustrer Runde in gelben Sesseln diskutierte. Zwei, drei Mal wurden auch unterschiedliche Kulissen aufgebaut. Im Hintergrund wurden aber immer Video-Animationen eingespielt, die eine thematische Atmosphäre brachten, dem TV-Zuschauer aber nur kurz ins Bild kamen. Im Prinzip erinnerte das Konzept ein wenig an den Jahresrückblick mit Kerner. Sicherlich gab es nicht viele Unterschiede – die machten überwiegend die Inhalte und der strukturell bessere Aufbau gleicher Maßen wie der fast nicht vorhandene Zeitdruck. Auch wenn die Gäste kaum lange auf der Couch sitzen blieben, so hatte man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass es hier jemand eilig hat oder die vorhandene Sendezeit mit möglichst viel Inhalt gefüllt werden muss. Auch die MAZen waren stets tiefgründig wie detailreich und gut gemacht, führten jeweils umfassend in die anstehenden Themen ein. Ebenso wurden diese nicht vom Moderator gesprochen, wie in Sat.1 gesehen. Die fehlenden Werbeunterbrechungen sorgten dafür, dass man leicht in die Show eintauchen konnte, auch wenn es hier und da ein wenig Leerlauf gab und das ein oder andere Thema nicht gründlich genug aufbereitet wurde.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie «Menschen 2009» den Spagat zwischen tiefgründigen Themen und dem Showbiz schaffte.

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