Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Comedy in der Krise

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Comedy ist in Deutschland zurzeit wenig gefragt. Liegt die Krise am Zuschauer oder an den Formaten?

„Comedy-Boom“ im deutschen Fernsehen. Erinnern Sie sich noch? Das war eine Zeit bis Mitte der 2000er, als Sat.1 mit jeder Sketch-Comedy, RTL mit jeder komödiantischen Serie und ProSieben mit jeder moderierten Spaßshow meist sehr gute Einschaltquoten erzielen konnte. Aus diesem jahrelang anhaltenden Trend erwächst heute unsere Gesellschaft der komödiantischen Nomenklatura: Stefan Raab, Oliver Pocher, Dieter Nuhr, Atze Schröder, Michael Mittermeier, Gaby Köster, Kaya Yanar, Rüdiger Hofmann und Co. – unsere beliebtesten Comedians sind alle Kinder des Comedy-Booms, der 1993 mit dem Start der legendären «RTL Samstag Nacht» seinen Anfang nahm.

16 Jahre später ist Comedy ein Grund zum Abschalten: Die einstigen Quotenhits wie «7 Tage, 7 Köpfe» oder die «Wochenshow» sind längst abgesetzt, neue Formate floppen reihenweise. Ist es der sich im Laufe der Jahre verändert habende Humor des Zuschauers, der die klassische Comedy aussterben lässt oder produzieren die Sender einfach nur Anti-Comedys, die einfach nicht witzig sind und deswegen keine guten Quoten erzielen? Die Antwort auf diese Frage dürfte wie so oft eine Mischung aus beiden Problemen sein.

In der heutigen Fernsehlandschaft ist klassische Comedy ein Nischenprodukt geworden. Alle Versuche, die einst so erfolgreichen moderierten Sketch-Comedys wie «RTL Samstag Nacht» oder «Die Wochenshow» wiederzubeleben, sind in den letzten Jahren gescheitert: RTL versuchte sich 2005 an dem Format «RTL Comedy Nacht», das nur drei Monate überlebte; Sat.1 versank mit einer schon fast vergessenen Show namens «Happy Friday» ebenfalls im Quotensumpf. Panel-Shows, wie sie einst mit «7 Tage, 7 Köpfe» oder «Genial daneben» Woche für Woche Millionen Zuschauer begeisterten und die Comedy damit zu einem Massenphänomen machten, sind ebenfalls wortwörtlich von der Bildfläche verschwunden, wenn sich auch «Genial daneben» mit Komik-Urgestein Hugo Egon Balder trotz meist schlechter Zahlen noch in Sat.1 hält. Dennoch ist auch diese Sendung eine Randerscheinung geworden.



Die Ethno-Comedys sind verschwunden («Was guckst du?!», «headnut.tv») genauso wie der letzte Comedy-Trend: die Impro-Comedys. Hier versucht sich Sat.1 nun aktuell mit dem einstigen Pionier dieses Subgenres, der «Schillerstraße», erneut, denn die Sendung wird wieder freitags ausgestrahlt. Doch sie bleibt ebenso eine Randerscheinung und hat den Glanz so wie vor allem die Relevanz früherer Tage verloren. Die Zeiten der klassischen Sketch-Shows, in denen sich alle 30 Sekunden ein Situationsgag an den anderen reihte, sind ebenfalls lang vorbei – Sat.1 füllte mit solchen Formaten jahrelang den Freitagabend und erzielte sehr gute Quoten. Auch die deutschen Comedy-Serien (auch deutsche Sitcom genannt) wie «Ritas Welt», «Das Amt» oder «Nikola» sind ausgestorben.

Ist der Zuschauer nun also der Comedy überdrüssig geworden? Jein. Er hat zumindest seine Interessen und Prioritäten verlagert. Denn US-Sitcoms gehören auch zur Comedy – und diese boomen gerade mit der kabel-eins-Strecke am Nachmittag sowie «Two and a Half Men» am ProSieben-Dienstag. Hier ist eine interessante Parallele zur Entwicklung des Genres der Drama-Serie festzustellen: Vor einigen Jahren wurden deutsche Serien, besonders im Krimi-Bereich («Wolffs Revier», «SK Kölsch», «Doppelter Einsatz»), von ihren US-Pendants («CSI», «NCIS») verdrängt, so wie es aktuell mit den Comedys zu sein scheint. Das US-Fernsehen assimiliert also quasi das deutsche TV so stark wie nie zuvor. Grundsätzlich keine schlechte Entwicklung, denn die Qualität der amerikanischen Produktionen ist oft hochwertiger als die der deutschen.

Deutsche Comedy im deutschen Fernsehen befindet sich also zunächst in einer Krise, weil der Zuschauer der Formate vor Jahren überdrüssig geworden ist – auch wegen der meist miesen Qualität der immer gleichen Shows. Wahrscheinlich daraus resultierend hat er seine Interessensschwerpunkte innerhalb des Genres auf innovative Randformate wie «Stromberg» verlagert beziehungsweise sich den US-Sitcoms zugewandt – oder hat komplett dem gesamten Genre abgeschworen.

Ist die deutsche Comedy noch zu retten? Natürlich, sie muss sich nur selbst neu erfinden. Was einst mit «RTL Samstag Nacht», dann mit «7 Tage, 7 Köpfe», weiter mit der «Wochenshow» sowie «Genial daneben» und schließlich mit der «Schillerstraße» geklappt hat, wird auch irgendwann wieder klappen: einen Trend zu kreieren. Dann wird deutsche Comedy wieder massentauglich werden, dann werden die Sender wieder gute Quoten einfahren. Wieder einmal ist Innovation gefragt. Denn klar ist auch: Das Lachen wird der Zuschauer nie verlernen.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.


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