Die Kritiker

«Ostfriesenmoor»

von

Der Mann, der im Moor eigentlich nur ein paar Vögel fotografieren wollte, ist sich sicher, dass er auf einem seiner Fotos die Hand einer Frauenleiche eingefangen hat. Kurze Zeit später verschwinden die Baby-Zwillinge eines Ehepaars aus dem Ruhrgebiet. Gibt es zwischen den Fällen eine Verbindung?

Stab

BESETZUNG: Picco von Groote Harald Krassnitzer, Christian Erdmann, Barnaby Methschurat, Kai Maertens, Marie Schöneburg, Monika Gossmann, Andreas euler Maria Ehrich, Katharina Behrens, Lieselotte Krieger
REGIE: Marcus O. Rosenmüller
DREHBUCH: Christian Limmer
KAMERA: Tobias Schmidt
SCHNITT: Raimund Vienken
MUSIK: Warner Poland, Wolfgang Glum
Alles neu macht der Februar. Der siebte Kriminalfilm der Reihe «Ostfrieslandkrimis» präsentiert die dritte Hauptdarstellerin. Stellte Christiane Paul die Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen in den ersten drei Spielfilmen dar und folgte ihr Julia Jentsch in den Filmen vier bis sieben, ist nun Picco von Groote an der Reihe. Offiziell heißt es, Julia Jentsch sei aus zeitlichen Gründen aus der Serie ausgestiegen. Dass eine Serie allerdings in so kurzer Zeit gleich zwei Hauptdarstellerinnen verschleißt, ist doch eher eine Seltenheit. Immerhin gibt es Positives zu berichten. Die «Ostfrieslandkrimis» unterscheidet seit ihrem Start 2017 ein maßgebliches Kriterium von den anderen beiden Kriminalfilmserien, deren Geschichten im flachen Nordwesten der Republik angesiedelt sind: Das Fehlen jeglichen Humors. Ob «Friesland» oder «Nord bei Nordwest»: Beide Serien nehmen nicht nicht immer ganz ernst und spielen gerne mit der Kauzigkeit, die den Ostfriesen nachgesagt wird. Anders die «Ostfrieslandkrimis»: Je düsterer die Bildgestaltung, desto besser. Von Anfang an haben sich die Macher an skandinavischen Vorbildern orientiert. Die kargen Landschaften Ostfrieslands, die zum Beispiel «Friesland» gerne postkartenidyllisch (und farbenfroh) ins Bild gesetzt, wirken in den Filmen der «Ostfrieslandkrimis» stets bedrohlich und düster. Farben werden regelrecht aus den Bildern herausgefiltert, um selbst im hellsten Tageslicht Dunkelheit über die Landschaften fallen zu lassen. Auch in Ostfriesland geht das Böse um.

Allerdings nicht nur das: Von Anfang an wurde die Hauptfigur Ann Kathrin Klaasen mit einem schweren Trauma auf Mörderjagd geschickt: Ihr Vater, ebenfalls ein Polizist, ist erschossen worden, der Mord konnte nie aufgeklärt werden. Die Serie wurde somit von Anfang an von einer bleiernen Schwere getragen. Aber nicht nur das: Die Suche nach dem Mörder ihres Vaters dominierte das Verhalten der Ann Kathrin oft derart, dass diese Suche die Hauptfigur immer wieder – demontierten. Als eine immer wieder ausschließlich von ihren Gefühlen getriebene Ermittlerin porträtiert, die ihr eigenes Trauma über alles stellt, war es nicht selten die Hauptfigur selbst, die eine Geschichte unnötig verkomplizierte oder durch ihr emotionales, oftmals irrationales Handeln gar andere Figuren in Gefahr brachte.

Doch das scheint nun vorbei. Nachdem der Mord an ihrem Vater im letzten Spielfilm «Ostfriesensühne» tatsächlich aufgeklärt werden konnte, ist ihr Vater, der ihr immer wieder als Trugbild erschien und mit dem sie gar redete, verschwunden. Mit der neuen Hauptdarstellerin wird der Serie tatsächlich neuer Schwung verliehen. Die bleierne Schwere ist fort. Nicht, dass plötzlich auch Humor in die Welt der Ann Kathrin Klaasen einziehen würde. «Ostfriesenmoor» ist kein Schmunzelkrimi, er ist düster, er macht keine Gefangenen. Man kann dem Film sogar vorwerfen, dass er ein wenig zu glatt wirkt, jetzt, da die Hauptfigur ihre Dämonen vertrieben hat. Auf der anderen Seite macht es diese „Glätte“ möglich, sich ganz auf die Geschichte konzentrieren zu können ohne fast schon Angst haben zu müssen, dass die Hauptfigur durch ihr Handeln wieder Mist baut - siehe «Ostfriesengrab», einen Film, in dem sich die Hauptfigur in einem Anfall von persönlicher Wut so dumm und dämlich verhält, dass ihr ein Gewaltverbrecher entkommt, der verdächtigt wird, eine Frau ermordet zu haben; die Schuld an diesem Debakel trägt ausschließlich Ann Kathrin und dümmer kann man eine Figur in einem Kriminalfilm einfach nicht darstellen. Solche Momente gibt es im aktuellen Film auf Seiten der Hauptfigur keine. Zum ersten Mal, möchte man ausrufen, nimmt man ihr tatsächlich die professionelle Ermittlerin wirklich ab. Und als solche hat sie es bald mit einem Leichenfund in einem Moor zu tun. Die Leiche ist die einer jungen Frau. Der Mörder mag sie zwar an einem vergleichsweise abgelegenen Ort abgelegt haben, aber fast scheint es, als habe er kein Interesse daran gehabt, dass die Leiche wirklich verschwindet. Es hätte bessere Orte gegeben, um die Leiche zu versenken. So ist es ein Hobbyfotograf, der auf einem seine Fotos die Hand der Leiche entdeckt, die kurze Zeit später von Polizeitauchern aus dem Moor geborgen wird. Der Fall wird dadurch seltsam, dass der Leiche erst nachträglich eine Wunde am Hals zugefügt worden ist. Der erste Eindruck, der Mörder habe ihr die Kehle durchgeschnitten, ist demnach falsch. Nachdem die Identität der Toten geklärt ist, führt ihre einzige persönliche Verbindung nach Ostfriesland zur Stiftung des (offenbar österreichischen) Millionärs Dr. Ollenhauer. Dessen Stiftung hilft Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen und organisiert für sie Freizeiten in der Provinz. Ollenhauer hat jedoch einen zwiespältigen Ruf. Seine Stiftung gilt als erfolgreich und seriös, seine Sozialarbeit wird geachtet. Ollenhauer ist allerdings auch ein passionierter Jäger, der gerne in der Fremde auch solche Tiere jagt, die eigentlich unter Schutz stehen. «Tatort»-Kommissar Harald Krassnitzer stellt diesen Dr. Ollenhauer mit verachtenswerter Liederlichkeit gar. Nach bald einem Vierteljahrhundert in der Rolle eines anständigen Polizisten scheint der österreichische Schauspieler die Besetzung so ganz gegen sein Image genossen zu haben – auf jeden Fall wirkt nichts an diesem Kerl auch nur im Ansatz sympathisch. Aber ist er auch ein Mörder, nur weil er ein unsympathischer Mensch ist?

Als wäre der Fall der toten Frau nicht schon genug Ungemach, werden am helllichten Tag mitten auf dem Marktplatz von Ann Kathrins Heimatstadt Zwillinge entführt. Die große Schwester der beiden kleinen Kinder passt nur einen Moment nicht auf, und fort sind sie. Aus dem Ruhrgebiet stammt die Familie und sie macht Urlaub an der Küste. Die Mutter, der Vater, die beiden gemeinsamen Kinder und die große Tochter aus der ersten Ehe der Mutter. Und da scheint der Schuldige auch schon ausgemacht: Ihr Ex-Mann, der „zufällig“ ebenfalls an der Küste weilt und eine Vita mitbringt, die aufhorchen lässt. Wegen Körperverletzung hat er im Gefängnis gesessen und zumindest einmal war er ganz offenbar auch seiner Ex-Frau gegenüber gewalttätig. Seine Tochter jedoch schwört, dass er ihr gegenüber immer ein liebender Vater gewesen ist und das ihn der Gefängnisaufenthalt verändert hat.

Eine Stärke des Filmes liegt darin, dass er ziemlich lange die Spannung bezüglich der Frage, ob die beiden Fälle miteinander zu tun haben oder ob es die TV-Ermittler tatsächlich mit einer Duplizität der Ereignisse zu tun haben, aufrechterhält. Was ihm nicht wirklich gelingt, ist die Dramatik der Kindesentführung in Bilder zu fassen. Zwar erfährt die Geschichte im Verlauf der Handlung eine dramatische Zuspitzung, doch jenseits dieser dramatischen Zuspitzung findet Regisseur Marcus O. Rosenmüller keine eigene Bildsprache für das Geschehen. Die Kinder sind fort. Und nun? Weder wirkt Ann Kathrin wirklich besorgt, noch gibt es Momente, in denen die Inszenierung glaubhaft machen könnte, dass die halbe Polizei Ostfrieslands ihre Arbeit Arbeit sein lassen würde, um sich ausschließlich der Suche nach den vermissten Kindern zu begeben. Zumindest auf Seiten der Ermittler wirkt die Inszenierung nicht selten so, als würden sie einem Fahrraddieb nachstellen. Das ist wirklich schwach, trotz der dramatischen Zuspitzung, welche nicht weiter gespoilert werden soll und die offenbar vor allem dazu dient zu kaschieren, dass die Story nicht so wirklich weiß, wie sie mit diesem Fall tatsächlich umgehen soll. Entführungen sind nicht gerade die Spezialität der Reihe.

Da braucht es doch einen anständigen Mord und bezüglich der Mordsgeschichte gibt es wenig zu bemängeln. Ann Kathrin hat eine Leiche, sie hat einen Verdächtigen, aber sie hat keinen Beleg für Verbindungen zwischen dem Opfer und dem Verdächtigen, die über ein Zusammentreffen vor zehn Jahren hinausgingen. Diese Geschichte ist geradlinig und ohne nervende Alleingänge der Hauptfigur inszeniert. Hauptdarstellerin Picco von Groote mag es einerseits an der Kantigkeit ihrer Vorgängerinnen fehlen, andererseits kann sie sich ganz darauf konzentrieren, Ann Kathrin als Ermittlerin darzustellen und als einen Profi in ihrem Job. Es gibt keine Traumata zu bewältigen, sie erledigt keine Alleingänge, sie wirkt einfach glaubhaft. Trotz der vertrauten Stammbesetzung jenseits der Hauptdarstellerin wirkt «Ostfriesenmoor» wie ein Neustart. Etwas glatter, etwas weniger kontrovers, aber mit dem Potenzial, die Hauptfigur neu zu definieren. Zwei weitere Filme sind immerhin bereits in Arbeit.

Am Samstag, 04. Februar 2023, 20.15 Uhr, ZDF

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