Die Kritiker

«Die Welt steht still»

von

Natalia Wörner gibt der Pandemie ein Gesicht: als Ärztin, die selbst an Corona erkrankt. Ein eindrücklicher Film, auch wenn nicht ganz klar wird, was er eigentlich erreichen will.

Stab

Darsteller: Natalia Wörner, Marcus Mittermeier, Klaus Pohl, Lena Stolze, Lilly Barshy, Jona Eisenblätter
Drehbuch: Dorothee Schön
Kamera: Martin L. Ludwig
Kostüme: Rike Russig
Musik: Jessica de Rooij
Regie: Anno Saul
Jahresbeginn 2020: Aus der chinesischen Stadt Wuhan kommen erste Meldungen über ein neuartiges Lungenvirus, das sich rasch auszubreiten scheint und bei einem Fünftel der Patienten einen Aufenthalt auf der Intensivstation zur Folge hat. Bald werden isolierte Fälle aus Thailand und Japan bekannt. Und im weit entfernten Konstanz setzt sich die Heldin dieser Geschichte, die Intensivmedizinerin Carolin Mellau (Natalia Wörner), an eine Excel-Tabelle und macht eine Modellrechnung auf – mit erschreckendem Ergebnis: Wenn das Virus am Bodensee ankommt, wird es binnen Wochen zehnmal so viele Beatmungspatienten geben wie Beatmungsplätze in der Klinik.

Dabei wollte Carolin Mellau ihren Job im Krankenhaus eigentlich gerade an den Nagel hängen, um sich um die Familie zu kümmern, während ihr Mann (Marcus Mittermeier) als Klarinettist auf Konzerttour ist. Doch Basisreproduktionszahl und exponentielles Wachstum machen beiden einen Strich durch die Rechnung. Perlenkettenartig reiht der Film nun Eskalationsstufe an Eskalationsstufe, um von der Verwirrung und extremen Belastung der ersten Welle zu erzählen: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Die Hilferufe verzweifelter Ärzte aus dem italienischen Bergamo. Die Nachbarn der Mellaus, einfache Leute, die hinter der Katastrophe eine Verschwörung von Bill Gates wittern, der anscheinend Millionen Menschen umbringen will, um noch mehr Geld zu verdienen. Oder die Verlegung von Patienten aus Straßburg in das Krankenhaus von Karlsruhe, weil in Frankreich längst Triage herrscht. Carolin ist von Tag zu Tag ausgelaugter.

Doch damit nicht genug. Denn sie selbst erkrankt an Corona, und bekommt noch dazu einen schweren Verlauf. Sie landet auf ihrer eigenen Intensivstation, muss dort beatmet werden – und ringt mit dem Tod.

In diesen Tagen, zwischen aus dem Ruder laufenden Querdenker-Protesten, gewaltbereiten Impfgegnern und erschreckendem Politikversagen angesichts des grotesken Missmanagements der allgegenwärtigen Booster-Impfungen scheinen manche vergessen zu haben, wie verunsichernd und beängstigend die ersten Wochen und Monate der Pandemie gewesen sind, als die Menschheit dem neuartigen Virus völlig schutzlos ausgeliefert war: ohne Impfung, in Isolation. Dabei gelingt es diesem Film, diese Zeit sehr eindrücklich zu beschreiben. Die Geschichten des medizinischen Personals von Erschöpfung, Überforderung, eisernem Durchhalten und seelischen Traumata sind mittlerweile hinlänglich bekannt; Natalia Wörner gibt ihnen ein sehr treffendes Gesicht.

Ein wenig problematisch mag auffallen, dass dieser Film versucht hat, schier jede kleine Entwicklung und jede Facette der fast zweijährigen Pandemie-Historie in seiner Geschichte unterzubringen: Dass die Nachbarn der Mellaus beispielsweise zum eisernen Verschwörungskern gehören etwa, genauso wie manche zu informationsgeladene Randbemerkung in den Dialogen.

Was das eigentliche Ziel des Films ist, wird indes nicht sonderlich klar. Will er den Klinikalltag zwischen Personalmangel und 24-Stunden-Schichten zeigen und damit auf die Defizite in unserem Gesundheitssystem hinweisen? Das haben Joko und Klaas schon näher an der Realität geschafft. Oder den Menschen vermitteln, wie wichtig es ist, Solidarität zu üben und sich impfen zu lassen – für sich selbst, für die Schutzbedürftigen oder zur Entlastung des medizinischen Personals? Diejenigen, die sich für Filme dieser Art interessieren, werden längst zu den Geimpften zählen, und leider werden nur wenige Skeptiker erreicht oder überzeugt werden können.

Im ZDF ist «Die Welt steht still» am Montag, den 15. November um 20.15 Uhr zu sehen.

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