Die Kritiker

«Tatort – Blind Date»

von

Für den Mord an einem Tankstellenmitarbeiter gibt es eine Zeugin. Die junge Frau ist allerdings blind. Die Details, die sie wahrgenommen hat, sind erstaunlich. Nur leider hat sie, aus verständlichen Gründen, nichts gesehen. Und sie scheint wenig Lust an einer Zusammenarbeit mit der Polizei zu haben. Warum? Darum geht es in diesem «Tatort».

Stab

DARSTELLER: Heike Makatsch, Sebastian Blomberg, Henriette Nagel, Anica Happich, Jan Bülow, Jule Böwe, Alan Burgon, Elin Knipchild, Rainer Furch, Andrea Quirbach
REGIE: Ute Wieland
DREHBUCH: Wolfgang Stauch
KAMERA: Cornelia Janssen
MUSIK: Oli Biehler
«Tatort: Blind Date» ist kein klassischer Kriminalfilm. «Tatort: Blind Date» ist vielmehr die Geschichte einer Suche nach sich selbst, vielleicht auch nach einem Kick, um endlich – zu leben! Rosa Münch lautet der Name der jungen Frau, die Zeugin des Mordes wird. Es fällt ein Schuss und die Täter, ein junger Mann und eine junge Frau, streiten. Dann richtet die Frau offenbar die Waffe auf Rosa. Vielleicht ist es auch der junge Mann. Doch als er bemerkt, dass Rosa blind ist, lässt er sie in Ruhe. Im Gegensatz zu der Frau, die Rosa zu Boden wirft.
Dann ist der Spuk vorbei.

Kamerafrau Cornelia Janssen fasst diesen Prolog in bemerkenswerte Bilder. Wenn man das, was sie erschafft, Bilder nennen kann. Es sind eher stark kontrastierte Schattenspiele, die aus kaum mehr als einem weißen, milchigen Fleck in einem Meer aus Dunkelheit bestehen. Das, was wir, die Zuschauer, zu sehen bekommen, ist das, was Rosa sieht. Rosa wird im Verlauf der Geschichte anmerken, dass sie nicht vollkommen blind sei, sondern über einen Prozent Sehkraft verfügt. Wenn sie über ihre Blindheit spricht, dann schwingt in ihren Worten stets ein dunkler, nicht selten schmerzhafter Humor mit, der doch nur dazu dient, ihre Verbitterung zu verbergen. Es ist nicht die Blindheit, die sie schmerzt. Ihre Blindheit akzeptiert sie. Sie ist ein Teil ihrer Persönlichkeit; sie kennt die Welt nicht anders. Ihre Verbitterung ist vielmehr ihrer Vergangenheit geschuldet.

Rosa ist Studentin. Sie ist selbstbewusst und verfügt ohne Zweifel über einen Sinn für Humor. Doch sie fühlt sich eingeengt. Bis sie ihr Studium aufgenommen hat, hat sie in einem goldenen Käfig gelebt. Ihre Eltern haben sie mit Liebe umsorgt, aber auch daran gehindert, ein eigenständiges Leben führen zu dürfen. Jede Entscheidung ihres Lebens wurde hinterfragt, ihr eigener Wille selten berücksichtigt.

Nun findet sich Rosa plötzlich im Mittelpunkt eines Kriminalfalles wieder. Sie ist die Zeugin. Sie entscheidet, inwiefern sie mit der Polizei kooperiert – und was sie ihr verschweigt. Ist ihre Beschreibung des Geschehens anfangs unglaublich detailgenau (sie kann aufgrund des Trittes, den ihr die Täterin verpasst hat, den Ermittlern erklären, welche Art von Schuhe sie getragen hat), hat sie bald kein Interesse mehr, mit Kommissarin Ellen Berlinger und ihrem Kollegen Rascher zu kooperieren. Spätestens in dem Moment, in dem sie unter Polizeischutz gestellt werden soll, geht sie auf Distanz.

Sie will nicht mehr beschützt werden.

Was der Täterin Sophie Hansen nicht entgeht. Da ist dieses eine Detail, das Rosa nicht aus dem Kopf geht: das Parfüm der Frau vom Tatort. Ein teures Parfüm, das nicht unbedingt zu einem Menschen passt, der eine Tankstelle überfällt. Wer eine Tankstelle überfällt, braucht in der Regel auf die Schnelle Geld. Viel ist dort nicht zu holen. Maximal ein kleiner vierstelliger Betrag. Zu einem solchen Täterprofil passt das Parfüm nicht, das Rosa wahrgenommen hat. Und so steht Sophie eines Tages Rosa gegenüber. Aber nicht etwa, um sich einer unliebsamen Zeugin zu entledigen, die vielleicht das Personenschutzangebot der Polizei hätte annehmen sollen. Sophie umgarnt Rosa vielmehr und gesteht ihr, dass sie sich von ihr angezogen fühlt.

Drei Fälle in fünf Jahren
Als Heike Makatsch 2016 zum ersten Mal in die Rolle der Ellen Berlinger geschlüpft ist, wurde ihr Einstand als «Tatort»-Ermittlerin, «Fünf Minuten Himmel», als Event verkauft – und an einem Ostermontag ausgestrahlt: Einem Sendetermin, der gemeinhin für besonderes Anlässe reserviert ist. Auch der zweite Berlinger-«Tatort» 2018 landete auf diesem begehrten Sendeplatz. Angeblich sollte «Fünf Minuten Himmel» ein einmaliges Event darstellen. Ob es stimmt? Mit 7,99 Millionen Zuschauern bewegte sich das Zuschauerinteresse im durchschnittlichen Rahmen – allerdings unterhalb der Quoten der «Tatort»-Stars. Auch die Kritiken, wie hier auf Quotenmeter, fielen eher gemischt aus. Mit knapp über 9 Mio Zuschauern hat Heike Makatschs zweiter Auftritt «Zeit der Frösche» zwar deutlich mehr Zuschauer an die Bildschirme gefesselt, aber dessen Bewertung fiel zumindest in der Kritik noch schlechter aus (siehe dazu auch «Tatort - Zeit der Frösche»).

Wurde der Spielort vom ersten Teil (Freiburg im Breisgau) im zweiten Teil nach Mainz verlagert, dient die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt auch im nunmehr dritten Fall als Kulisse, jedoch ist von einer Event-Platzierung nichts mehr zu spüren. Und nicht nur das. Rezensenten greifen beim Verfassen von Vorab-TV-Kritiken gerne auf das Pressematerial der Sender zurück. Nicht, um sich eine Meinung diktieren zu lassen. Es geht vielmehr darum, Rollennamen korrekt zu zitieren; hin und wieder fließen auch Informationen bezüglich äußerer Begebenheiten wie etwa den Drehorten in eine Bewertung ein. Und auch Rezensenten können nicht jede Person, die an einem Film mitwirkt, kennen. Wenn dann etwa eine Leistung hervorsticht und vielleicht berührt, wie in diesem Fall die brillante Kameraarbeit von Cornelia Janssen, dann dient eine Pressemappe auch schon einmal als Einstieg in weitere Recherchen bezüglich dieser Person. Das hat, um dies noch einmal zu betonen, nichts damit zu tun, dass man sich als Rezensent einen schlanken Fuß macht und einfach Infos ungefiltert übernimmt. Im Fall von «Blind Date» jedoch braucht niemand die Angst haben, dass ein Rezensent eine vorbereitete Meinung übernommen hat. Nach zwei als Event-«Tatort»en programmierten Spielfilmen, hat es zu diesem «Tatort» nämlich gar keine Pressemappe gegeben, aus der etwa der Autor dieser Zeilen hätte zitieren können: nicht einmal ein kleines E-Paper mit etwas PR-Blabla. Und dann erlebt dieser Spielfilm auch noch seine Premiere an einem x-beliebigen Sonntag im Oktober?

Von Event ist da nicht mehr viel zu spüren. Was nicht überrascht, denn am Ende stellt sich die Frage: Was möchte dieser «Tatort» eigentlich sein?

Ein Whodunit ist er nicht. Das Mördergespann ist frühzeitig bekannt: Sophie und Jan heißen die beiden. Sie sind ein Pärchen, dem der Netflix-Serienmarathon offenbar nicht mehr ausreicht, um den Adrenalinspiegel etwas aufzuputschen. Das erklärt auch, warum Sophie durchaus einen Kick darin verspürt, Rosa zu verführen. Sie aus dem Weg zu räumen – das wäre einfach. Aber Rosa auf ihre Seite zu ziehen – das ist doch viel reizvoller. Leider aber fehlt es der Inszenierung an echten Mumm, dies in einer verstörenden, irritierenden, kontroversen Weise inszenatorisch umzusetzen. Es gibt etwas Sex vor der Kamera. Und der ist auch wirklich sehr hübsch und animierend von der Kamera in Szene gesetzt. Schöne Menschen tun schöne Dinge miteinander. Aber das, was da im öffentlich-rechtlichen Bild am Ende passiert, ist Kuscheln. Dass über diesen Akt ein wildes Verlangen entsteht, ja eine Amour fou, eine Beziehung, die aufgrund ihrer Intensität obsessive Züge annimmt und zumindest eine der beteiligten Parteien in eine Abhängigkeit führt, die alles andere jenseits dieser Beziehung ausblendet: Das mag in diesem «Tatort» behauptet werden, wirklich nachvollziehen lässt sich dies nicht. Ja, Rosa mag in der (Dreier-)Beziehung, in die sie Sophie einlädt, eine Freiheit finden, die ihr bis zu diesem Moment fremd gewesen ist. Aber dass sie dafür akzeptiert, dass eine Mörderin (oder ein Mörder) mit ihrer (seiner?) Tat davon kommt, wird nie wirklich glaubwürdig. Es sei denn, Rosa ist in Wahrheit ein gefühlskalter Mensch, der nur auf ein bisschen Sex aus ist. Was nicht ausgeschlossen werden kann. Wenn sie von der Polizei erfährt, wen Sophie (oder Jan) erschossen hat, bedauert sie nicht etwa das Opfer. Sie bedauert vielmehr, dass es nicht seinen unfreundlichen Kollegen erwischt hat. Betrachtet man Rosa aus der Perspektive, dass sie in Wahrheit ein gefühlskalter Mensch ist und nicht nur eine Suchende nach ihrem Platz in einer Gesellschaft, an deren Leben sie bislang kaum teilhaben durfte, dann steht die falsche Figur im Mittelpunkt des Geschehens, denn in diesem Fall eignet sich Rosa nicht als emotionales Zentrum dieses Kriminalstückes. Dies wäre dann schon eher Sophie, deren Begehren echt ist. Daran lässt die Inszenierung keinen Zweifel. Diesen Kick, den sie sucht, er ist ein echtes Verlangen. Leider ist Sophie aber auch eine Psychopathin, was die Regie nie auszublenden versteht, weshalb sie eben auch nicht als emotionales Zentrum taugt.

Als Geschichte eines obsessiven Verlangens funktioniert dieser «Tatort» demnach nicht. Man bleibt als Zuschauerin oder Zuschauer in der Rolle eines Betrachters beziehungsweise einer Betrachterin wohl gestalteter Bilder verhaftet. Emotional bleibt all das, was dieser Thriller sein möchte, behauptet. Es ist nicht einmal falsch Rosa als Egoistin zu betrachtet. Da sie aus einem goldenen Käfig ausbrechen will, macht sie das, was sie will, aber nicht das, was richtig wäre. Um nicht zu wissen, was richtig ist, ist sie am Ende allerdings zu intelligent.

Jenseits der behaupteten, aber wenig glaubhaften Amour fou passiert in diesem «Tatort» nichts, was packend wäre. Heike Makatsch darf als Ellen Berlinger die alleinerziehende Mutter geben, die Ärger mit dem Erzeuger ihres Kindes bekommt. Da der Brite ist, darf sie mit ihm lange Dialoge auf Englisch sprechen, die fehlerfrei untertitelt werden. Mit dem Fall hat das nichts zu tun und dient allein der Charakterbildung einer Figur, die im nunmehr dritten Fall noch keine wirkliche Richtung gefunden hat. Wer ist Ellen Berlinger? Welche Fähigkeiten, Spleens, Vorlieben hat sie? Nach drei «Tatort»en in fünf Jahren gibt es auf diese Fragen keine Antworten. Ellen Berlinger ist eine x-beliebige TV-Ermittlerin, die zufällig von einer prominenten Darstellerin verkörpert wird.

Wenn es so etwas wie ein tatsächlich investigatives Momentum in diesem Film gibt, gibt Sebastian Blomberg diesem ein Gesicht. Zum zweiten Mal stellt er Kommissar Martin Rascher dar, einen empathischen, aufrichtigen Ermittler. Er ist kein Gerechtigkeitsfanatiker oder Lauttreter, er ist eher ein Kümmerer, der mit Anstand und Aufrichtigkeit seiner Arbeit nachgeht und daher Rosas Verweigerungshaltung gegenüber ihm und Berlinger nicht nachvollziehen kann. So ist es seine Figur, die die Ermittlungen vorantreibt und es ist Blomberg, der am Ende positiv im Gedächtnis verbleibt: In einem «Tatort», über den es ansonsten leider nicht allzu viel Positives zu berichten gibt.

«Tatort: Blind Date» ist am Sonntag, den 24. Oktober 2021, im Ersten zu sehen.

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