Serientäter

«Intergalactic» ist ein televisionärer Unfall

von

Die Polizistin Ash Harper wird eines Verbrechens beschuldigt, das sie nicht begangen hat. Zur Strafe wird sie auf eine Kolonie der Erde verbannt, von der noch nie ein Mensch zurückgekehrt ist. Ihre Unschuld wird ausgerechnet in dem Moment bewiesen, in dem Mitgefangene eine Rebellion auf dem Gefangenentransporter anzetteln und die Kontrolle übernehmen.

Stab

DARSTELLERINNEN: Savannah Steyn, Eleanor Tomlinson, Natasha O'Keefe, Sharon Duncan-Brewster, Thomas Turgoose, Oliver Coopersmith, Imogen Daines, Diany Samba-Bandza, Craig Parkinson, Hakeem Kae-Kazim, Parminder Nagra, Neil Maskell
REGIE: Kieron Hawke, China Moo-Young
DREHBÜCHER: Julie Gearey, Nick V. Murphy, Archie Maddocks, Laura Grace
EXECUTIVE PRODUCER SKY: Paul Gilbert
KAMERA: Richard Mott, Gary Shaw, Peter Robertson
SCHNITT: Emma Oxley, Gareth Scales, Charlene Short, Ian Davies
Aus der Grundprämisse der ersten Episode hätte sich mit Sicherheit eine nette «Die Hard»-Variante spinnen lassen. Die aufrichtige, zu Unrecht eines Verbrechens beschuldigte Polizistin inmitten einer Bande von Mörderinnen, Terroristinnen und Harley Quinn-Imitatorinnen? Sicher, das Konzept wäre vielleicht nicht sonderlich originell gewesen, aber eine zügige Inszenierung hier, etwas Action dort und mittendrin drei oder vier Wendungen und halbwegs geschickt gesetzte Cliffhanger: Das klingt doch nach einem netten Zwischendurchsnack. Vielleicht nutzt diese Ausgangssituation irgendwann einmal eine Autorin oder ein Autorin als Grundlage für eine schicke Action-Scifi-Serie, «Intergalactic» auf jeden Fall tut das nicht, denn diese «Die Hard»-Idee wird schon im Verlauf des Pilotfilmes irgendwann zu den Akten gelegt. Eines Pilotfilmes, der vor allem dem Publikum eine Kuriosität präsentiert, die man aus britischen Produktionen eigentlich überhaupt nicht kennt: Unfassbar schlechte Schauspielerinnen (alle Hauptfiguren sind weiblichen Geschlechts, Männer sind grundsätzlich nur in Nebenrollen anzutreffen).

Machen wir uns nichts vor: Wer wissen will, wie man vor einer Kamera agiert, muss britische Fernsehserien oder Kinofilme schauen. Die Wandlungsfähigkeit britischer Schauspielerinnen und Schauspieler ist der Maßstab, an dem sich schauspielerische Klasse definiert. Zu verdanken ist dies einer Ausbildung, die den Menschen in seiner Gesamtheit betrachtet. Die deutsche Schauspielausbildung basierte lange Zeit vor allem auf Sprechtheater. Goethe sollte, Brecht musste vom Gehirn verstanden werden. Allzu viel Schauspielerei störte da nur. Das Elisabethanische Theater, die Urmutter des heutigen britischen Schauspiels, war in seinen Ursprüngen ein Theater für die Massen. Einem Boxring gleich agierten zu Zeiten Shakespeares die Schauspieler – Frauen durften nicht spielen – in der Mitte eines grölenden Publikums, das unterhalten werden wollte. Da gab es schon räumlich keine Hintertüren. Wer da schlecht spielte, der wurde auch schon einmal von der Bühne geholt. In diesem Theater mussten Gefühle mit Nachdruck dargestellt werden. Und das nicht nur, um der Dramaturgie der Stücke gerecht zu werden. Dies hatte schlicht räumliche Gründe – schließlich mussten auch auf den hintersten Plätzen dieser oft lauten, vom Bier und Wein geschwängerten Jahrmarkthallen, in denen die Schauspieler ihre Kunst darboten, die Zuschauer etwas verstehen können.

Die Theater mögen sich im Laufe der Zeit verändert haben, irgendwann kamen das Kino und das Fernsehspiel als Betätigungsfelder für Schauspielerinnen und Schauspieler dazu. Das englische (britische) Schauspiel aber ist sich in all den Jahrhunderten treu geblieben und hat den Menschen stets als Gesamtkunstwerk geformt. Die Schauspieler nutzen eben nicht nur die Sprache als Werkzeug. Gesichter, Bewegungen, Sprache, Duktus , all das bildet eine Einheit.

Bedauerlicherweise hat man die Darstellerinnen und Darsteller dieser Serie vor Beginn der Dreharbeiten offenbar in eine Wachskur geschickt, welche ihre Körper (samt Gesichtsmimik) eingefroren hat. Im Vergleich zum verstockten Nicht-Schauspiel, welches Schauspielerinnen und Schauspieler dieser Serie präsentieren, wirken die Marionetten der Scifi-Serien von Gerry Anderson aus den 1960er Jahren wie extrem elastische 100-Meter-Läufer, die im Sprint nebenbei noch «Hamlet» im klingonischen Original zitieren. Ob das Nicht-Schauspiel, das diese Serie zelebriert, den Hauptdarstellerinnen und wenigen männlichen Darstellern anzulasten ist, lässt sich nur schwer sagen, denn sie spielen schließlich nur Rollen, die sie so in ihren Drehbüchern vorgefunden haben - unter einer Regie, die sie nicht führt. Wenn aber die erzählte Geschichte vollkommener Murks ist und eine Regie nicht erkannt werden kann: Was sollen sie dann tun? Sie haben Verträge und müssen diese erfüllen. Also sagen sie die Zeilen auf, die im Drehbuch stehen, und können nur hoffen, dass man sich nie, nie, niemals daran erinnern wird, dass sie in dieser Serie mitgewirkt haben.

Um was geht es denn nun in dieser televisionären Totalkatastrophe?
Also, da ist die Polizistin Ash Harper, die in einem zukünftigen, irgendwie untergegangenen, aber doch neu erbauten London böse Jungs und Mädchen jagt. Die Regierung, eine typisch neofaschistische Überorganisation, die angeblich nur das Beste für alle Menschen will, hat immerhin dem (weshalb auch immer) untergegangenen Königreich zu einer neuen Größe verholfen. Alles in allem scheint es sich also auf der Erde halbwegs gut zu leben, wenn man sich an die Gesetze hält. Wenn man eher arm ist, sucht man sein Glück auf Kolonien der Erde (Spoiler: Wo aber überall Manchester-Kapitalismus herrscht, der diesen Menschen wenig Glück beschert). Und begeht man gar Verbrechen, einfache Delikte reichen aus, dann kommt man auf den besagten Knastplaneten, von dem es keine Rückkehr mehr gibt.

Tja, und so landet Ash in einem Gefangenentransport, nachdem sie ganz doll wichtige Unterlagen geklaut hat, wobei sie von einer Kamera gefilmt worden ist. Glücklicherweise ist Mama Harper aber ein hohes Tier im Sicherheitsapparat. Und mag sie nicht verhindern können, dass Töchterchen verbannt wird, denn die Rechtsprechung ist nicht sonderlich komplex und schnell bei der Sache (in dieser Welt erlernt man den Beruf des Juristen offenbar im Rahmen eines Wochenendseminars), so kann sie doch ihre Unschuld beweisen. Die Bilder sind manipuliert.

Glück für Ash, denn so bekommt sie ein Rückflugticket. Leider wird ihr diese gute Nachricht in dem Moment mitgeteilt, in dem ihre Mitgefangenen eine Meuterei anzetteln - und deren Anführerin Tula, eine Art Hans Gruber für abgebrochene Baumschulschüler, in ihrem Wutrausch leider fast die gesamte Besatzung abschlachtet – inklusive des Piloten. Was, wenn man sich mitten im All befindet, eine eher nicht so gute Idee darstellt. Also braucht sie Ash, die als Anwärterin auf höhere Positionen im Sicherheitsapparat, auch eine Pilotenausbildung absolviert hat. Zwar nicht für Raumtransporter, aber an dieser Stelle könnte man nun nachsichtig mit der Story sein. Immerhin würde dies erklären, warum die bösen Damen Ash nicht umbringen und warum Ash sich mit ihnen in gewisser Weise verbünden muss, wenn sie überleben will.

Bedauerlicherweise bleibt dem Sicherheitsapparat die Meuterei nicht verborgen und zwei große Schiffe der so genannten Commonworld werden losgeschickt, um den von dem Piloten vor seinem Tod gestoppten Gefangenentransporter abzuschleppen. In ihrer Panik – Tula hält Ash eine Waffe an den Schädel und es besteht kein Zweifel daran, dass sie Ash umbringen wird – löst Ash nun den Sprung ihres Schiffes aus. Was eine fatale Kettenreaktion auslöst. Die durch den Sprung entstehenden Druckwellen erfassen die beiden Commonworld-Schiffe und lassen sie kollidieren.
Worauf Hunderte von Menschen ihre Leben verlieren.



Das ist das Ende der ersten Episode. Und wir fassen zusammen: Die Meuterinnen schlachten Massen an Wärterinnen, Wärtern, Piloten und anderen Schiffsbediensteten ab und Ash verursacht durch ihr Handeln den Tod vieler, vieler unschuldiger Menschen.

Okay, es ist nicht zu kritisieren, dass eine Figur, die positiv, ja als Heldin angelegt ist, auch einmal Angst haben darf und aus dieser Angst heraus eine Tat begeht, die in einer Katastrophe endet. Ganz im Gegenteil: Das sind die Momente, die Autorinnen und Autoren lieben. Der Bruch, der diese Figur nun ereilt, sie bietet kein Charakterfutter für eine oder zwei Folgen. Sie bietet Futter für mehrere Staffeln – denn wie kommt diese Figur jetzt damit klar, aus einer (nachvollziehbaren) Angst heraus solch eine Katastrophe ausgelöst zu haben?

Ja, so werden große Figuren erschaffen.
Nur leider nicht in dieser Serie. Denn ihre Schuld wird schon in Episode zwei überhaupt nicht mehr thematisiert und in Episode drei fragt man sich: War da mal was? Nö, da war nix. Statt dessen verlagert sich die Story auf einen Planeten, dessen Kulissen aus 80er-Jahre-«Doctor Who»-Episoden recycelt wurden. Immerhin scheint man bei der Ausstattung auf Nachhaltigkeit gesetzt zu haben. Der visuelle Bruch ist jedoch erschütternd. Man kann über die erste Episode viel, viel lästern. Aber visuell ist das alles nicht schlecht. Das alles agiert nicht auf «Star Wars»-Niveau, aber es ist ordentliche TV-Ware. Episode zwei indes kopiert ziemlich irritierend den Look billiger italienischer Apokalypse-Schocker der 1980er Jahre.

Dabei erklärt Episode zwei nun, worum es in der Serie eigentlich gehen soll. Die Anführerin der bösen Ausbrecherinnen, Tula, möchte wohl auf eine Welt, die angeblich nicht existiert, weil sie – einfach zu schön ist. Ja, Tula lebt einfach nur den Traum von einer besseren Welt. Eigentlich sympathisch. Die Frage, die sich da nur stellt: Sollte man Menschen, die offensichtlich Spaß daran haben, andere Menschen zu massakrieren, unbedingt das Ticket für einen Planeten in die Hand drücken, wo die Menschen offenbar halbwegs zivilisiert zusammenleben? Nicht, dass Tula ein durch und durch unleidlicher, fieser, menschenverachtender Charakter wäre. Aber Tula ist ein durch und durch unleidlicher, fieser, menschenverachtender Charakter, den Darstellerin Sharon Duncan-Brewster mit exakt einem Gesichtsausdruck darstellt, der ihre Figur irgendwie unleidlich und fies erscheinen lässt.

Ebenso wie Parminder Nagra nur noch einen Schatten ihrer selbst darstellt. Sie ist Rebecca Harper, Ahs Mutter. Parminder Nagra stellte nicht nur 129 Episoden lang die junge Ärztin Neela Rasgotra in «ER» dar – ihren Durchbruch feierte sie 2002 als fußballbegeisterte junge Frau indischer Herkunft in der wunderbaren Komödie «Kick It Like Beckham», einem Film, der gerade von ihrem Spiel und ihrem Gefühl für Timing lebt. Hier ist sie nun die Mutter, die im Staatsapparat eine nicht ganz unwichtige Rolle einnimmt und natürlich ein paar Leichen im Keller liegen hat (es darf niemand glauben, dass Töchterchen Ash zufällig in den Schlamassel geraten ist). Parminder Nagra agiert acht Episoden lang mit heruntergezogenen Mundwinkeln, die allein einen Schluss bezüglich ihres Spiels zulassen: Sie hat die Drehbücher erst nach Vertragsabschluss gelesen und hatte keine Chance mehr, aus diesem Vertrag herauszukommen.

Was nach der zweiten Episode passiert, ist nicht mehr wirklich erklärbar. Ash hat etwa einen Papa, der als Held in irgendeinem Krieg gestorben ist. Allerdings ist der Papa höchst lebendig, was Mama gar nicht schmeckt. Dem Ausbrecherinnentrupp schließt sich noch ein Holdrijooh-Robin-Hood-Verschnitt von einer fremden Welt an, der zwar nicht so schicke Strumpfhosen wie weiland ein Errol Flynn trägt, der dafür aber auch die ganze Zeit lächelt und als lustiger Spießgeselle mit seiner lockeren Art vor allem dazu dient, die Atmosphäre zwischen den Ausbrecherinnen etwas aufzulockern. Ausbrecherinnen, die natürlich gar nicht so dunkelböse sind, wie sie anfangs eingeführt werden. Nur, weil man Gesetzeshüter und andere Staatsbedienstete abschlachtet und durchaus Spaß daran hat, muss man schließlich nicht abgrundtief böse sein, wenn man Gründe für sein Tun vorbringen kann. Es ist halt eine harte Welt dort draußen und da überlebt eben nur, wer stark ist. Wer auf der Strecke bleibt, ist ja egal. So wie die Handlung vollkommen ins Nirvana hinweg driftet und nach der vierten Episode schlichtweg den letzten Funken Sinnhaftigkeit verliert.

Fazit: Miese Kulissen, Dialoge, die Ohrenbluten verursachen, (Nicht-)Figurenzeichnungen, die auf der Hornhaut schmerzen. «Intergalactic» ist ein televisionärer Unfall, wie man ihn lange schon nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. Was haben sich die Autorinnen und Autoren gedacht, als die diese Serie geschrieben haben? Haben sie überhaupt etwas gedacht?

PS: Für alle, die den Vergleich mit dem Marionetten des Gerry Anderson nicht verstanden haben, bietet dieser Trailer-Aufklärung: (13) Gerry Anderson's Thunderbirds (1965) - HD Opening Titles - YouTube

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