Debatte

Linda Zervakis und die ProSieben-Bubble

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Der Privatsender ProSieben möchte ab Herbst ein zweistündiges Magazin mit „Haltungsjournalismus“ starten. Braucht die deutsche Fernsehlandschaft ein Magazin mit Themen, deren Antworten das grüne Wahlprogramm sind? Ein Kommentar von Fabian Riedner.

Am Montag verabschiedete sich «Tagesschau»-Sprecherin Linda Zervakis vor rund zehn Millionen Menschen. Die deutsch-griechische Moderatorin sucht eine neue Herausforderung und wechselt vom NDR zu ProSieben. Dort soll sie mit «Sportschau»-Moderator Matthias Opdenhövel eine zweistündige Live-Sendung – womöglich am Montagabend um 20.15 Uhr – präsentieren. ProSieben-Chef Daniel Rosemann bezeichnete die neue Informationssendung «Zervakis und Opdenhövel. Live.» als „richtig wichtig“.

Für deutsche Fernsehsender werden die amerikanischen Filme und Serien immer weniger lukrativ. Die Reichweiten sinken seit Jahren und seit Kurzem macht auch der Disney-Konzern ordentlich Druck, denn «Die Simpsons», «Family Guy», «Grey’s Anatomy» und «Seattle Firefighters» werden vorab bei Disney+ angeboten. Die Serien aus dem Warner Bros.-Universum laufen inzwischen bei sixx und ProSieben Maxx und erreichen verhältnismäßig überschaubare Zahlen.

Der Sender ProSieben müsse aufpassen, dass er nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Ein Beispiel: «Joko und Klaas gegen ProSieben», das bei den Werberelevanten hervorragend funktioniert. Allerdings beim Gesamtpublikum nur noch knapp vor Billig-Produktionen wie «Hartz und herzlich» oder «Hot oder Schrott» liegt. Selbst Film-Wiederholungen bei Kabel Eins kommen auf zwei Drittel der Reichweiten von Joko und Klaas. «Germany’s Next Topmodel» gehört zu den Aushängeschildern der roten Sieben, zweieinhalb Millionen Menschen verfolgen wöchentlich die Klum-Show. Rund eine Million Menschen mehr verfolgen am späten Donnerstagabend den wöchentlichen Polit- und Corona-Talk bei Maybrit Illner. Nie passte das Wort „Zielgruppe“ besser.

Jetzt also Zervakis und Opdenhövel, die zwei Stunden Sendezeit befüllen sollen. Schon Johannes B. Kerner wurde von der Sendergruppe zu Sat.1 gelockt, doch das Prestige-Projekt wurde schnell aus der Primetime verbannt. Mit dem ehemaligen «Tagesschau»-Sprecher Marc Bator wollte man ebenfalls investigative Inhalte probieren, abgesehen von den Hauptnachrichten hat Bator bei Sat.1 wenig zu tun. Selbst die neue «Akte» überzeugte nicht mal zum Auftakt.

ProSieben-Chef Daniel Rosemann will „Informationen mit Haltung“ bieten. Also keine objektiven Berichte, sondern klassischen „Haltungsjournalismus“. Es sollen also Meinungen vermittelt werden, die trotz möglicher konträrer Fakten, als richtig dargestellt werden. Schon jetzt sind zahlreiche Journalisten skeptisch, ob ProSieben mit dem Projekt lange durchhalten kann und erinnert an das Interview mit Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vor wenigen Wochen. Die Moderatoren, Thilo Mischke und Katrin Bauerfeind, stellten kaum kritische Fragen und applaudierten am Ende noch ihrem Gast. „Man muss diesen Applaus nicht machen“, meinte Rosemann. Aber man arbeite mit „sehr vielen Emotionen“.

Haltungsjournalismus, wie es Rosemann nannte, ist auch deshalb gefährlich, weil er der Alternative für Deutschland (AfD) keinen Interview-Platz bieten wolle. So oder so: Die Partei liegt gerade auf Augenhöhe mit der SPD, die einen Kanzlerkandidaten stellt, den man interviewen möchte, und der FDP. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei bietet ein Programm an, wie es andere Parteien nicht tun (GEZ-Reduzierung, Festhalten am Verbrenner, Kohleabbau). Sie aber nicht zu thematisieren treibt die Menschen in die Arme der unseriösen Internetseiten, rechten YouTuber und vermeidlichen Telegram-Gruppen. Eine kritische Auseinandersetzung, die sämtliche Schwächen der rechtspopulistischen Partei aufzeigt, würde einer relevanten Haltungsjournalismus-Show sicherlich gut tun und ist einer Journalistin wie Linda Zervakis auch zuzutrauen. Damit würde man wohl auch auf Beifall aus der jungen ProSieben-Bubble zählen können.

ProSieben steht vor einem großen Problem, denn der Sender ist viel zu sehr unterhaltungsorientiert. Die Joko und Klaas-Projekte „Männerwelten“ oder „Pflege ist #Nichtselbstverständlich“ weckten die Gesellschaft auf, zeigten Einblicke in andere Welten. Aber bei diesen, wie auch anderen Reportagen, fehlen Lösungsvorschläge. Diese gibt es in anderen Sendungen, wie bei «Die Anstalt», «Monitor» und bei «Maybrit Illner».

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