Interview

'Sowohl in Toulouse als auch in Wuppertal gibt es spannende Kulturschaffende zu entdecken'

von

Zum Start des neuen arte-Kulturmagazins «Twist» verraten die Moderatorinnen Romy Straßenburg und Bianca Hauda Quotenmeter.de, welche Kunstformen sich ihnen verschließen und welche kontroversen Debatten sie leicht beantworten können.

Inhalt der «Twist»-Ausgabe vom 30. August 2020

  • Hauptthema: Wie steht's mit der Solidarität in Corona-Zeiten?
  • Der italienische Philosoph Giorgio Agamben warnt: "Der andere Mensch steht ja jetzt grundsätzlich unter Verdacht", so Agamben zu den Corona-Schutzmaßnahmen. Er befürchtet, es könne sich eine Gesellschaft etablieren, "die nicht auf Liebe beruht, sondern auf Distanz, Trennung, Verdacht, vielleicht auch Hass."
  • Rahel Jaeggi, Philosophin aus Berlin, erwidert: "Wenn es die Lage erfordert, dann kann es auch passieren, dass unser Wir-Gefühl gerade davon abhängt, dass wir uns distanzieren." Wahre Solidarität müsse sich "in Institutionen stabilisieren". Dabei offenbare die Pandemie wie unter einem Brennglas Defizite der Gesellschaften wie schlechte Arbeitsbedingungen oder die "Ungleichheit im Bildungssystem"
Was war Ihr erster Gedanke, als feststand, dass «culture@home» ab jetzt Platz für «Twist» machen wird?
Bianca Hauda: Endlich geht es los! Und: Hoffentlich können wir unsere Sendung auch tatsächlich drehen! Das ist ein Gedanke, der mich gerade täglich begleitet. «culture@home» war toll, aber ich will die Zuschauer nicht nur durch meine Wohnung in Köln mitnehmen, sondern am Liebsten durch ganz Europa. Die erste Folge in Berlin haben wir gerade gedreht und im Kopf bin ich schon in Zürich, Wien und Grenoble. Aber ob wir dort auch wirklich sein werden, entscheidet sich eben jede Woche neu. Ursprünglich sollte «Twist» ja auch früher anfangen, April war geplant. Die Folge Wien gab es schon, wir haben uns alle wahnsinnig auf den Start gefreut und dann kam das Virus und der Stillstand.

Romy Straßenburg: «Twist» stand bereits vor «culture@home» fest und wäre im Frühjahr gestartet – als klar war, dass wir wegen der Corona-Krise noch nicht loslegen können und stattdessen Kultur von zuhause aus präsentieren. Da war mein erster Gedanke „Wunderbar, das wird mein Fenster nach draußen!“ Weil die Ausgangssperre in Frankreich viel härter war, habe ich den Austausch mit Künstlern, die Recherchen und natürlich die Gespräche mit Bianca sehr genossen.

Wenn «Twist» nicht nur, wie in der Sendungsankündigung festgehalten, europäische Metropolen bereisen würde, sondern auch kleinere Städte innerhalb Europas, was wären Ihre Wunschziele, und weshalb?
Bianca Hauda: Wir bereisen mit «Twist» nicht ausschließlich Metropolen. Wir sind mit unserem Magazin tatsächlich überall dort, wo spannender Kulturaustausch stattfindet. Das können große, aber auch kleine Städte sein. Sowohl in Toulouse als auch in Wuppertal gibt es spannende Kulturschaffende zu entdecken, die ihre Stadt aktiv zu dem inspirierenden Ort machen, der sie ist. Kultur ist überall, man muss nur hinfahren!

Selber fänd' ich es spannend an die Orte zu rein, an denen Künstler ihre Ruhe vorm Alltag suchen. Orte, an denen sie sich erholen oder Neues kreieren. Diese Orte müssen etwas Magisches haben. Außerdem würde ich für «Twist» gern mal an den Polarkreis reisen. Dorthin wo es unendlich Weite und unendliche Nacht gibt. Ein Ort an dem ich keine Erwartungen, keine Vorurteile und keine Ansprüche an Kultur habe. Wie Kultur dort lebt und stattfindet, das würde ich mir gern zeigen lassen.

Letztlich misst sich die „Größe“ einer Stadt nicht nur an der Einwohnerzahl, sondern an ihrer Offenheit, Diversität und Dynamik.
Romy Straßenburg
Romy Straßenburg: Vom Begriff „Metropolen“ darf man sich nicht fehlleiten lassen – er meint ja nicht nur Hauptstädte, sondern auch „Weltstädte“ und so stehen Städte wie Halle, Grenoble oder Marseille auch auf unserem Programm. Dort, wo spannendes Kulturleben stattfinden, wollen wir auf die Menschen treffen, die eine Stadt für Kunst öffnen und sie damit weltstädtischer machen. Letztlich misst sich die „Größe“ einer Stadt nicht nur an der Einwohnerzahl, sondern an ihrer Offenheit, Diversität und Dynamik.

«Twist» setzt sich ja zum Ziel, zahlreiche Kunstbereiche zu beleuchten – von Bildender Kunst über Architektur, Fotografie, Literatur bis hin zur Mode und zum Film … Aber gibt es einen Kunstsektor, der sich Ihnen so überhaupt nicht erschließt? Haben Sie versucht, ihn sich zu erschließen?
Bianca Hauda: Ich bin mit Kunst aufgewachsen. Mein Opa kam aus Tschechien und war Maler, ich selbe habe von klein auf Theater gespielt und wollte ursprünglich Schauspielerin werden, ich liebe Musik und Mode. Kunst und Kultur waren und sind bei mir immer da. Was sich mir nie wirklich erschlossen hat ist klassische Musik. Sie stresst mich.

Dennoch bin ich ganz verliebt in die Klaviermusik von Chilly Gonzalez und Nils Frahm. Beide bringen mich der „echten“ Klassik etwas näher und vielleicht schaffe ich irgendwann dann auch mal Beethoven, Händel und Co. in voller Länge.

Romy Straßenburg: Oper ist für mich definitiv ein Kunstbereich, zu dem ich keinen Zugang habe. Trotz mehrerer Versuche löst diese Musik bei mir wenig Emotionen aus. Ich habe wirklich Respekt vor den Leuten, denen sich diese Welt erschließt und die zu unterscheiden wissen, ob eine Vorstellung jetzt Murks ist oder ganz großartig. Aber das ist vielleicht wie mit Zartbitterschokolade und Meeresfrüchten ... es braucht seine Zeit und man weiß es mitunter erst spät im Leben zu schätzen.

Solange die Kunst keine Nabelschau ist und sich um die eigenen Befindlichkeiten dreht, sondern versucht, die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie künstlerisch zu reflektieren, sollte sie es tun.
Romy Straßenburg
In der Sendungsankündigung hieß es: "«Twist» scheut keine Kontroversen". Dennoch mal spitz gefragt: Welche heiß debattierte Kulturdiskussion dieses Jahres lässt sich Ihrer Meinung nach ganz leicht beantworten – und wie?
Bianca Hauda: Ganz spitz formuliert: Wenn ich irgendwann meinen noch nicht existierenden Kindern erzählen sollte, dass ein mutmaßlicher Vergewaltiger namens Roman Polanski im Februar 2020 den bedeutendsten französischen Filmpreis, den César, bekommen hat, glaube ich, dass wir dann hoffentlich alle gemeinsam soweit sind sagen zu können, das das unter keinen Umständen hätte passieren dürfen.

Romy Straßenburg: In Frankreich ging es viel darum, ob Kunstschaffende aus der Corona-Krise Inspiration schöpfen können oder ob es deplatziert ist, solch eine Zeit als Schaffensperiode zu romantisieren, während Menschen ernsthaft erkranken, mitunter sterben. Hier war meine Antwort ziemlich eindeutig: solange die Kunst keine Nabelschau ist und sich um die eigenen Befindlichkeiten dreht, sondern versucht, die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie künstlerisch zu reflektieren, sollte sie es tun.

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