Die Kino-Kritiker

«Harriet - Der Weg in die Freiheit» - Zu Recht zerplatzte Oscarträume

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Am Ende gab es zwei Oscar-Nominierungen für das Harriet-Tubman-Biopic «Harriet - Der Weg in die Freiheit». Und dass ein Film dieses Themas nur auf zwei kommt, offenbart, wie viel bei diesem Porträt einer Sklavenbefreierin im Argen liegt.

«Harriet - Der Weg in die Freiheit»

  • Kinostart: 9. Juli 2020
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 135 Min.
  • Genre: Biopic/Drama
  • Kamera: John Toll
  • Musik: Terence Blanchard
  • Buch: Gregory Allen Howard, Kasi Lemmons
  • Regie: Kasi Lemmons
  • Darsteller: Cynthia Erivo, Janelle Monáe, Leslie Odom Jr., Joe Alwyn, Clarke Peters, Nick Basta
  • OT: Harriet (USA/CHN 2019)
Die Planungen zu einem Biopic über Harriet Tubman beherrschten die Branchenschlagzeilen schon lange bevor der Film überhaupt erste Formen annahm. Einmal vor rund 20 Jahren, als ein großes Hollywoodstudio auf die Idee kam, die afroamerikanische Sklavenbefreierin mit der – zur Erinnerung – weißen (!) Schauspielerin Julia Roberts zu besetzen und einmal vor knapp zwei Jahren, als sich die Black Community daran störte, dass mit Cynthia Erivo («Bad Times at the El Royale») eine Britin für die Rolle gecastet wurde. Für erstgenannte Schwachsinnsidee benötigt es keiner weiteren Worte. Und für den zweiten Kritikpunkt lassen sich immerhin insoweit versöhnliche finden, als dass Erivo ihre Sache hervorragend macht. Die erst seit Kurzem regelmäßig in großen Spielfilmen auftauchende Londonerin legt ihr ganzes Herzblut in die Performance der gepeinigten Minty und schafft den emotionalen Sprung zur gegen das System aufbegehrenden Kämpferin Harriet Tubman mühelos. Hier dürften beim Dreh im wahrsten Sinne des Wortes Blut, Schweiß und Tränen geflossen sein. Aber auch sie kann letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film insgesamt leider völlig missraten ist.

Maryland im Jahr 1849


Minty (Cynthia Erivo) ist als eine von unzähligen Sklaven auf der Baumwollplantage von Edward Brodess (Mike Marunde) beschäftigt. Als dieser eines Tages verstirbt, soll sie an eine andere Plantage verkauft und so von ihrer Familie getrennt werden. Um dem zu entgehen lässt sie ihren Ehemann John Tubman (Zackary Momoh) zurück und tritt sie eine aufsehenerregende Flucht an. Tatsächlich gelingt ihr der Weg in die Freiheit. In Pennsylvania wendet sie sich William Still (Leslie Odom Jr.) von der Anti-Slavery-Community. Dieser unterstützt sie dabei, unter dem Namen Harriet Tubman ein neues Leben anzufangen. Doch die Frau hat höhere Pläne und beschließt, die Sklaven ihrer Plantage zu befreien…



Während Drehbuchautor Gregory Allen Howard mit «Ali» bereits ein (recht konventionelles) Biopic – in diesem Fall über den Boxer Muhammed Ali – geschrieben hat, zeichnete Regisseurin und Autorin Kasi Lemmons schon für das musikalische Drama «Black Nativity» verantwortlich, mit dem sie sich vornehmlich an die Black Community richtete. Das Gespür für die Belange der afroamerikanischen Bevölkerung und die Fähigkeit, ein adäquates Porträt über eine wichtige Persönlichkeit zu kreieren, sollte zusammengenommen ja eigentlich die Perfekte Grundlage für einen Film über Harriet Tubman sein – selbst wenn er erzählerisch ein überraschungsarmes Abhaken einer Biographie ist. Doch ihre Stärken auszuspielen, misslingt dem Autorenpaar, vor allem aber der Regisseurin derart, dass man Tubman umgehend einen besseren Film gönnt. Denn die herausragenden Leistungen der Frau, die fast im Alleingang unzählige Sklaven aus der Gefangenschaft befreit hat und dabei immense Risiken auf sich nahm, kommen in «Harriet – Der Weg in die Freiheit» zu keiner Zeit zur Geltung.

Nach einem recht konventionellen Einstieg auf der Plantage, auf der die als Sklavin noch Minty genannte Harriet gemeinsam mit ihrem Ehemann John zum Arbeiten verdammt ist, folgen im Eiltempo die Flucht, später der Wandel von der Gepeinigten, die ihr Schicksal und das ihrer Kameraden selbst in die Hand nimmt und zu guter Letzt ihre vielfachen geheimen Ausflüge zu ihrer ehemaligen Plantage, von der aus sie nach und nach einen Gefangenen nach dem anderen befreit. Und obwohl der Film mit zwei Stunden und 15 Minuten wahrlich nicht kurz geraten ist, hat man das Gefühl, nichts davon habe in seiner lediglich oberflächlichen Betrachtung auch nur irgendeine tiefschürfende Bedeutung gehabt.

Zwischen Abenteuer und Esoterikkitsch


Es wirkt fast schon gleichgültig, wie «Harriet» die enorm gefährlichen Befreiungsaktionen hier mit einem Schulterzucken abtut. Einmal läuft eine der Missionen Gefahr, an einer Flussdurchquerung zu scheitern. Ein anderes Mal können sich die von ihren Aufsehern gesuchten Flüchtlinge gerade noch so in den Wald retten. Aber ansonsten vermittelt der Film den Eindruck, Harriets ehrfurchtgebietenden Leistungen seien vor allem ein spannendes Abenteuer gewesen. Angetrieben wird dieses Gefühl auch von Terence Blanchards Score (der Komponist schrieb bereits die Musiken zu «BlackKklansman» und «Da 5 Bloods»), der viel zu verspielt und treibend ist, als dass er die Anspannung aller Beteiligten stimmig unterstreichen könnte. Und damit meinen wir nicht, dass die Musik dem Zuschauer eins zu eins vorgeben muss, was er in dieser oder jener Situation gefälligst zu fühlen hat. Hier wirken die akustische Untermalung und die bedrohlichen Bilder, respektive das Thema an sich derart widersprüchlich, dass sich das Drama und die Anspannung aller Beteiligten überhaupt nicht entfalten können.

Wodurch es dann auch wieder aufgesetzt wirkt, wenn die eigentlich so starke Cynthia Erivo eine noch viel stärkere Wutrede über ihre und die Situation der Sklaven hält – im Kontext zum Rest ist dies zwar eine der wenigen gelungenen Szenen des Films, wirkt aber gleichzeitig wie arg kalkuliertes Oscarbaiting.

Auch die irritierenden esoterischen Einschübe drücken die von Harriet Tubman eigentlich erbrachte Leistung massiv. Wenn der Film es so aussehen lässt, als würde die Hauptfigur einer Art göttlichen Eingebung folgen, die ihr dabei hilft, gewisse Stolperstellen bei der Flucht zu umgehen, dann strapazieren die Macher die Prämisse einer wahren Begebenheit bis aufs Äußerste. Das muss man sich einmal vorstellen: Harriet Tubman vollbringt mit eisernem Willen und einer unglaublichen Körperkraft eine schier unmögliche, menschliche Leistung – und inszenatorisch stechen vor allem jene Szenen besonders hervor, in denen ihre Tat nicht auf die in Kauf genommene Selbstaufgabe zurückzuführen ist, sondern auf eine außerweltliche Eingebung. Dabei geht aus der Figur der Harriet selbst noch nicht einmal klar hervor, weshalb die insgesamt ohnehin eher einem TV- denn einem Kinolook frönenden Szenen plötzlich eine Art Fantasy-Überstilisierung besitzen. Es ist eben einfach so – und im nächsten Moment ist das Problem der Desorientierung gelöst.

Das erinnert fast schon an die unzähligen christlichen Propagandafilme, die einem die Existenz Gottes regelrecht einprügeln wollen. Und wir möchten an dieser Stelle auch gar nicht wieder über dieses Genre urteilen – das haben wir an anderer Stelle zur Genüge getan. Hier ist der Kontrast zum erschütternden Schicksal Harriets, aber auch ihrer vielen Mitgefangenen einfach so enorm, dass man die zerplatzenden Oscar-Träume noch im Kinosaal platzen hört.

Fazit


Glaubt man den Schilderungen in «Harriet – Der Weg in die Freiheit» war Harriet Tubman eine ehemalige Sklavin, die mithilfe gottgleicher Eingebungen das aufregende Abenteuer Sklavenbefreiung gemeistert hat. Dass es hier in Wirklichkeit um ein dramatisches Schicksal und die heldenhaften Taten einer mit eisernem Willen voranschreitenden Frau geht, kommt nie zur Geltung.

«Harriet – Der Weg in die Freiheit» ist ab dem 9. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.

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