Die Kritiker

«In der Mitte des Flusses»

von

Am späten Montagabend zeigt das ZDF den zweiten Teil seiner Spielfilmreihe "Sehnsucht nach Freiheit". Das Einschalten lohnt sich.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Eric Hunter als Gabriel
Matt T. Metzler als Trigger Finger
Ava del Cielo als Stacy
Nikki Lowe als Dana
Morgan Hill als Ishmael
Ebony Smith als Abigail
Gyana Lua als Candace

Hinter der Kamera:
Produktion: Weydemann Bros. GmbH, Lightburst Pictures, ZDF - Das kleine Fernsehspiel und Arte
Drehbuch und Regie: Damian John Harper
Kamera: Bogumil Godfrejów
Produzenten: Jakob und Jonas D. Weydemann
Nicht nur im Iran wird die „Sehnsucht nach Freiheit“ vieler Menschen in erschütternder Einmütigkeit jeden Tag aufs Neue enttäuscht: Der zweite Teil der entsprechend betitelten Reihe des „Kleinen Fernsehspiels“ nimmt uns an einen ganz anderen Ort und in eine ganz andere Lebensrealität mit: ins nordwestliche New Mexico, genauer – in das Grenzgebiet der Navajo-Nation.

Dort steht das Motiv der enttäuschten Freiheitssehnsucht natürlich unter ganz anderen Vorzeichen als im religionsfanatischen Ayatollah-Regime: Die USA sind schon im elementarsten Selbstverständnis das Mutterland von Bürgerrechten und persönlicher Entfaltung, wo auch eine extreme Spielform des Libertarianismus in weite Gesellschaftsschichten hinein breite Sympathien findet. Die unerfüllte Sehnsucht nach einem freien Leben ist hier nicht durch staatliche Unterdrückung geprägt, sondern vielmehr durch staatliches Desinteresse, durch Zurücklassung und Versagen föderaler und lokaler Regierungen und die Zersetzung, die eine Gesellschaft durch Jahrzehnte des Neo-Pauperismus erfährt.

Vor einigen Jahren ist Gabriel (Eric Hunter) gewissermaßen in die Armee geflohen, um seinem gewalttätigen Großvater zu entkommen, der regelmäßig die ganze Familie tyrannisiert und in der Umgebung doch großes Ansehen genießt, für seine führende Beteiligung an einem Streik vor zwei Jahrzehnten. Nachdem Gabriels Schwester vor kurzem gestorben ist – und bisher unklar blieb, wer an ihrem Ableben Schuld hatte – kommt der Irakheimkehrer zurück in diese Gegend. Dort erwartet ihn die pure Depression: Seine ehemalige Partnerin, selbst nach einer Vergewaltigung durch den örtlichen Neonazi traumatisiert, will nichts mehr von ihm wissen. Sein jüngerer Bruder pumpt sich tagein, tagaus mit Amphetaminen voll, bevor er mit seinen White-Power-Kumpels eine rivalisierende Gruppe schwarzer Jugendlicher halb tot schlägt. Und sein Großvater prügelt sich weiterhin allabendlich durch die halbe Familie.

Einen Ausweg gibt es – trotz Gabriels Beteuerungen vom bald beginnenden Studium, einer stabilen Beschäftigung und einer minimalen Obamacare-Gesundheitsversorgung – weder in einem wirtschaftlichen noch in einem räumlichen Sinne. Bleibt allein: die Aussöhnung mit seinem Umfeld, die Akzeptanz seiner Genealogie, die Besänftigung durch Anteilnahme. Das hört sich ob der Urgewalt dieser von Rassismus und Gewalt geprägten zwischenmenschlichen Strukturen nach einer gleichsam unlösbaren Aufgabe an – und gelingt doch, weil Autor und Regisseur Damian John Harper seine Figuren so erstaunlich gut kennt, dass er sie auch nach den eklatantesten Aggressionen und Gewalteruptionen glaubhaft mehrere Schritte aufeinander zu machen lassen kann, bis die Differenzen gen Schluss gar nicht mehr so unüberwindlich scheinen.

Dabei helfen ihm die ständige unmittelbare Nähe zu seinen Charakteren und die konsequente Einnahme ihrer Perspektiven. Die Wackelkamera folgt überallhin, sie lässt uns – wie die Figuren – nicht zur Ruhe kommen, versetzt uns stattdessen beinahe zwei Stunden lang in einen rauschartigen Fight-or-Flight-Zustand, der eine Dynamik erzeugt, die unweigerlich auf eine Lösung zusteuert, auch wenn wir lange nicht erahnen können, wie um alles in der Welt die aussehen soll. Gleichzeitig offenbart uns diese permanente, schonungslose Intimität ein Fenster in eine ernsthafte Traumaaufarbeitung, die durch eine starke inszenatorische Reduktion auf die wesentlichen Motive und eine völlig pathosfreie Dramaturgie eine erstaunliche Stärke offenbart: Erzählung statt Belehrung, Showing statt Telling. Ein wunderbar gelungenes Kleinod.

Das ZDF zeigt «In der Mitte des Flusses» in der Nacht von Montag, den 11. Mai auf Dienstag, 12. Mai um 0.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/118206
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