Serientäter

«Dare Me» Staffel 1: «Wage es nicht», … die Fassade bröckeln zu lassen

von

Eine junge Dramaserie über Cheerleader? Voller Klischees, völlig überdreht und daher vollkommen austauschbar? So viel sei verraten: All das trifft auf «Dare Me» – wenn überhaupt – nur auf den ersten Blick zu.

Dass in den USA sehr viele unterschiedliche Sportarten von den Fans geliebt werden und daher auch die entsprechende Aufmerksamkeit erhalten, ist allgemein bekannt – kein Vergleich zu der Situation in Europa respektive vor allem zu der in Deutschland, wo „König Fußball“ die klare und unangefochtene Nummer 1 ist, seit jeher war und wohl auf Sicht auch bleiben wird. Dies lässt sich unter anderem sicher auch darauf zurückführen, dass eine Karriere als Spitzensportlerin oder Spitzensportler in Nordamerika für Kinder und Jugendliche ein Thema ist, mit dem sie bereits sehr früh konfrontiert werden, denn Teil des „Systems“ sind schon immer auch Schul- und Universitätsmannschaften, Auswahlturniere und ein gefühlt nie endender Aussiebeprozess, der beispielsweise im Draft mündet.

Teil des „Systems“ sind überdies die unzähligen Cheerleading-Teams, die in den Vereinigten Staaten ebenfalls eine lange Tradition haben. Die einen sehen in den überwiegend weiblichen Gruppen (Hochleistungs-)Sportlerinnen oder gar Akrobatinnen, die zu außergewöhnlichen Leistungen imstande sind, andere kritisieren die knappen Outfits der jungen Frauen oder die Tatsache, dass ihre Auftritte primär in den Halbzeiten von etwa Football- oder Basketballspielen die Wartezeiten der (überwiegend männlichen) Stadionbesucher „überbrücken“ sollen und daher oft abschätzig als „Pausenfüller“ deklariert oder mit noch abschätzigeren Kommentaren bedacht werden.

Insbesondere in US-Serien, die vornehmlich ein junges Publikum ansprechen sollen, taucht in der Regel mindestens eine Cheerleaderin auf, die lange Zeit – sehr klischeehaft – als attraktives Biest herhalten musste, das beispielsweise mit dem Star-Quarterback liiert ist. Diesbezüglich setzte in der jüngeren Vergangenheit allerdings eindeutig ein Umdenken ein: Man begnügte sich weitaus seltener damit, besagte Charaktere so eindimensional wie bisher zu gestalten und konzentrierte sich weitaus häufiger darauf, diese viel eher der Wahrheit entsprechenden Lücke, die oftmals zwischen Schein und Sein klafft, zum Ausgangspunkt äußerst origineller Storys zu machen, die nicht selten auch eine gewisse Schwere auszeichnet.

Ein Beispiel hierfür wäre etwa die Figur Maddy Perez (Alexa Demie) aus HBOs überaus kontrovers diskutierter Produktion «Euphoria», die eine Meisterin im Austeilen ist, dennoch zum Opfer wird und die die Zuschauerinnen und Zuschauer mit jeder neuen Wendung beziehungsweise jeder neuen Enthüllung ein wenig anders beurteilt haben dürften. In der Musical-Comedy «Glee», die zwischendurch immer wieder zur Dramedy wird, gehören sogar mehrere Cheerleaderinnen für lange Zeit zum Hauptcast, wobei letztlich alle (einschließlich ihrer berüchtigten und von Jane Lynch großartig gespielten Trainerin Sue Sylvester) eine Entwicklung durchmachen, die ihnen in Folge 1 wohl so nur die wenigsten zugetraut hätten. Und dass ausgerechnet Quinn Fabray (Dianna Agron), eines dieser vermeintlichen Klischee-Biester, am Ende zu einer absoluten Sympathieträgerin aufgestiegen sein wird, hätten sich wohl damals noch weniger Menschen vorstellen können.

Eine über 9 Staffeln wunderbar erzählte Geschichte über das Erwachsenwerden und -sein ist «One Tree Hill», die interessanterweise sehr Sport-zentrisch (Basketball steht im Mittelpunkt) begann und sich – je älter die Protagonistinnen und Protagonisten wurden – thematisch immer mehr öffnete, ohne jedoch deshalb die die berühmten Körbe und das zugehörige Spiel plötzlich zu vernachlässigen. Aus einem leistungsmäßig sehr homogenen Ensemble, das wahnsinnig gut harmonierte, ragte eine Akteurin noch einmal ein wenig heraus: Sophia Bush – die Schauspielerin, die aus Brooke Davis eine echte Kultfigur gemacht hat. Kennengelernt hatten die Fans eine Cheerleaderin, die sich oft selbst im Weg stand, und Abschied nahmen sie nach 187 Folgen von der mutmaßlich „besten Tante der Welt“, erfolgreichen Unternehmerin, großartigen Freundin, wunderbaren Ehefrau und liebevollen Mutter.



«Dare Me» belässt es hingegen nicht bei einigen Top-Athletinnen, die „auch“ Teil der Handlung sind, nein, hier steht gleich ein ganzer Cheer-Squad im Mittelpunkt des Geschehens; doch auch ein solcher Ansatz wurde vor gar nicht allzu langer Zeit bereits einmal verfolgt, und zwar bei «Hit the Floor» – ebenfalls eine junge US-Dramaserie, die im Dezember 2018 ihr Ende fand, weil sie nach insgesamt vier Seasons nicht mehr verlängert worden war. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal, mit dem die außerhalb der USA bei Netflix beheimatete Produktion, deren zehn Episoden in den Vereinigten Staaten auf USA Network zu sehen waren, punkten kann, gibt es allerdings trotzdem: Megan Abbott, die Autorin des Romans, auf dem die vorwiegend an der fiktiven Sutton Grove High School spielenden Geschichten basieren, war nämlich von Anfang an als ausführende Produzentin in das Projekt involviert. „Das-Buch-war-aber-so-viel-besser“-Diskussionen dürften deswegen eher Ausnahme denn Regel sein. Zumal solche Vergleiche ohnehin müßig sind, weil beide Versionen ohnehin für sich stehen können müssen. Daher nur so viel: Es ist keinesfalls eine freie Interpretation von Abbots Werk, setzt jedoch durchaus eigene Akzente.

Nicht alltäglich ist zum Beispiel der Umstand, dass jede Folge mit einer Art „Puzzleteil“ beginnt, das einige Minuten im Fokus steht, während parallel dazu ein von einer uns bald schon vertrauten Stimme gesprochenes Voiceover zu hören ist: Im Piloten meint man noch, hier würde uns lediglich ein beinahe klassischer Blick in die Zukunft präsentiert, auf den ein Sprung in die Vergangenheit folgt, um so nach und nach erzählen zu können, wie es zu Situation X gekommen ist. Recht schnell merkt man aber, dass sich die Macher für eine Art Rahmen- oder Klammersystem entschieden haben. Die nie sichtbare Person, die kryptische Andeutungen macht und uns mit Hinweisen „füttert“, ist nämlich in den ersten und letzten Minuten einer jeden Episode zu hören, die Staffel hat so gesehen zwei Ebenen, eine kommentierende und eine, auf der das Geschehen vorangetrieben wird. Und obwohl innerhalb kürzester Zeit kein Zweifel mehr daran besteht, dass es sich bei dem „Quasi-Phantom“ um Hauptfigur Addy Hanlon (Herizen F. Guardiola) handelt, ist es für die Rezipientinnen und Rezipienten beinahe so, als hätten sie es mit zwei unterschiedlichen jungen Frauen zu tun: der tatsächlich agierenden und der alles überblickenden, die weitaus mehr weiß, als das, was sie uns erzählt. Und so viel sei verraten: Bis zur letzten Einstellung ändert sich daran nichts.

Lesen Sie auf der nächsten Seite im Detail, was «Dare Me» auszeichnet.

vorherige Seite « » nächste Seite

Kurz-URL: qmde.de/117890
Finde ich...
super
schade
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelTom Beck, das Faultier: So unterstreicht das Staffelfinale die Vorzüge und die Probleme von «The Masked Singer»nächster ArtikelTemporär: Auch reine Streaming-Filme können den Oscar gewinnen
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung