Die Kritiker

«Betonrausch»: Die gelungene, deutsche «Geldwäscherei»

von

Der deutsche Netflix-Originalfilm «Betonrausch» zeigt David Kross, Frederick Lau und Janina Uhse als abgebrühte Betrüger.

Filmfacts «Betonrausch»

  • Regie und Drehbuch: Cüneyt Kaya
  • Cast: David Kross, Frederick Lau, Dejan Bucin, Janina Uhse, Uwe Preuss, Jerry Kwarteng, Silvina Buchbauer, Sophia Thomalla, Detlev Buck
  • Musik: Christopher Bremus
  • Kamera: Sebastian Bäumler
  • Schnitt: Maren Unterburger
  • Laufzeit: 94 Minuten
Im Matthäus-Evangelium heißt es: "Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat." Der deutsche Volksmund ist da weniger vornehm und sagt: "Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen." Der Kern beider Aussagen ist gleich: Wer viel hat, bekommt noch mehr. Im Bereich der Popkultur können wir das beispielsweise in Interviews, Podcasts oder Haustour-Videos verfolgen, in denen Promis, mal beschämt-dankbar, mal prahlend, erzählen, dass sie dieses sauteure Gemälde, jene einzigartige Statue, diese seltene Schallplatte, jenen raren Erstdruck eines steinalten Literaturklassikers, dieses mehrere Tausend Euro teure Messerset oder diesen Schmuck geschenkt bekommen hätten. Von Kollegen, Auftraggebern oder gar von Fans. Und das mag ja schön und gut für diese Stars sein – aber wie viele Menschen, die sich nicht selber eine komplette Gucci-Garderobe kaufen könnten oder diamantenbesetztes Essbesteck, bekommen schon halb so viele Geschenke die auch nur das Drittel dieser Promi-Geschenke kosten?

Während solche Giga-Geschenke eine kuriose Fußnote in der Weltgeschichte darstellen (wenn überhaupt), postuliert der Netflix-Film «Betonrausch», welche weitreichenden Folgen der sogenannte Matthäus-Effekt haben kann, sobald er in anderen Bereichen des Lebens greift: Mit Tempo, Dramatik und Biss zeigt die UFA-Produktion, wie millionenschwere Abzockmethoden in Gang kommen. Und dabei gilt: Wer hat, dem wird noch mehr auf dem Silbertablett serviert.

So zeigt «Betonrausch» an einem frühen sowie entscheidenden Wendepunkt der Geschichte, wie zwei pfiffige Gierhälse mittels Betrug, Glück und Dreistigkeit an eine Immobilie gelangen, die sie sich nicht leisten können. Also erbitten sie sich einen Kredit – die Bank will aber keinen "mickrigen" Kredit von etwa 300.000 Euro bewilligen. Einen Drei-Millionen-Euro-Kredit dagegen schon. Mit abgeklärter Dreistigkeit, völliger Herzlosigkeit und einem unerbittlichen Betrugsschema im Sinn, sichern sich die zwei Kerle letztlich sogar einen Sechs-Millionen-Euro-Kredit …

«Betonrausch» erzählt von solchen Matthäus-Effekten ausgehend die wahnwitzige, aber leider plausible Geschichte vom rasanten Aufstieg und späten Fall dreier Immobilienbetrüger. Der gierige Sohn eines Steuerbezügers, Viktor Steiner (David Kross), der findige, die Erfolgsleiter hoch stolpernde Schmalspurganove Gerry Falkland (Frederick Lau) und die profitgeile Bankkauffrau Nicole Kleber (Janina Uhse) erschwindeln sich innerhalb kürzester Zeit extremen Reichtum. Doch dabei geraten sie in einen Strudel aus Intrigen, grenzenloser Korruption, seelenruhig abgezogener Steuerhinterziehung, unersättlicher Gier und Drogen. Und so müssen sie sich schließlich im ungebremsten Sturzflug darauf besinnen, was ihnen wirklich wichtig ist – aber es stellt sich die Frage: Können sie das überhaupt?


Während Steven Soderberghs Betrugs-Dramödie «Die Geldwäscherei» 2019 bemüht, aber wenig gekonnt versucht hat, die Panama-Papers-Betrügereien zu kommentieren, ist Autor und Regisseur Cüneyt Kaya eine sehr gefällige Betrugs-Dramödie gelungen, die einige jener dreckigen Maschen nachskizziert, die zu maßlos überteuerten Immobilienpreisen führen und abgezockte Halsabschneider zu prahlerischen Neureichen machen. Gerry und Viktor nutzen jedes nur erdenkliche Schlupfloch, jeden möglichen nicht völlig zu Ende gedachten Gesetzestext, ihre massive Raffgier und ihre guten Connections, um sich ein Vermögen zu erflunkern, das sie sich partout nicht verdient haben – jedenfalls nicht guten Gewissens.

Cüneyt Kaya legt dabei den thematischen Schwerpunkt seines Films auf die haarsträubenden Lücken, die die Gesetze des freien Marktes haben, und wie man sie tolldreist ausnutzen kann. Die "Kollateralschäden", die Gerry, Viktor und die ihre Position maßlos ausnutzende Bankerin Nicole dabei unentwegt in Kauf nehmen, fokussiert Kaya nie, trotzdem macht er sie kontinuierlich spürbar – immer wieder fallen Nebensätze oder gibt es kurze Anblicke, die verdeutlichen, dass der Erfolg des Protagonisten-Trios hohe Kosten hat, für die andere Menschen aufkommen müssen.

Zwar braucht «Betonrausch» etwas, bis der Plot in die Gänge kommt, doch sobald sich Gerry und Viktor gefunden haben, greifen sogleich mehrere Stärken des Films ineinander. Da wäre die schauspielerische Dynamik zwischen David Kross als schmierig-charmanter Betrüger, der sehr gut darin ist, sich seriös zu geben, und Frederick Lau als gleichermaßen rotziger wie mit hilfreichen Verbindungen in verschiedene Milieus gesegneter Schmalspurganove, der zu einem großen Abzocker heranwächst – bei dem sich aber öfter das Gewissen zu Wort meldet. Janina Uhse wiederum gibt dem wild spekulierenden Wesen des Bankgeschäfts ein oberflächlich-vertrauenserweckendes Gesicht und sie versteht es, ihre Rolle der Nicole nach und nach auszudifferenzieren. Und dann wäre da noch die Erzählweise:

«Asphaltgorillas»-Co-Autor Cüneyt Kaya reißt diese Betrugsgeschichte schmissig und kurzweilig an, ohne seiner Story je einen glorifizierenden Rausch mitzugeben. Er erzählt die Geschichte in mehrmals unterbrochenen Rückblenden und hält das Publikum somit auf Distanz zu den Figuren – nicht so sehr, dass ihr Schicksal bedeutungslos wird, aber genug, damit immer wieder Momente entstehen, die dazu einladen, das Implizierte weiterzudenken.

Während Kaya und Kameramann Sebastian Bäumler oft auf Grau-in-Grau-Töne setzen, ist die Musik von Komponist Christopher Bremus kühl, effizient und atmosphärisch. Der «Betonrausch»-Putz bröckelt jedoch dann, wenn wir die Welt des Immobilienbetrugs und des Erfolgsrausches verlassen: In Allerweltssituationen geraten die sonst soliden bis peppigen Dialoge in «Betonrausch» durchaus hölzern – so ermahnt einmal eine Mutter ihr Kind: "Du machst aber deine Hausaufgaben, bevor du den Zeichentrickfilm guckst." Solche "Der Ausgangsgedanke stimmt, die Formulierung ist aber wahrlich nicht lebensecht"-Textzeilen gibt es öfters – aber die hallen nur halb so lang nach wie der Zorn, der «Betonrausch» auf den Matthäus-Effekt entfacht.

«Betonrausch» ist ab dem 17. April 2020 auf Netflix abrufbar.

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