Die Kino-Kritiker

«Lindenberg! Mach dein Ding» - Panikrocker ahoi!

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Eine deutsche Musiklegende erhält mit «Lindenberg! Mach dein Ding» ein angemessenes filmisches Denkmal. Doch wer sich vorwiegend der Musik wegen in die Hände der Regisseurin Hermine Huntgeburth begibt, könnte enttäuscht werden.

«Lindenberg! Mach dein Ding»

  • Start: 16. Januar 2020
  • Genre: Biopic
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 139 Min.
  • Kamera: Sebastian Edschmid
  • Musik: Oli Biehler
  • Buch: Alexander Rümelin, Christian Lyra, Sebastian Wehlings
  • Regie: Hermine Huntgeburth
  • Darsteller: Jan Bülow, Jesse Hansen, Julia Jentsch, Max von der Groeben, Ruby O. Fee, Charly Hübner, Detlev Buck
  • OT: Lindenberg! Mach dein Ding (DE 2020)
Nach dem überwältigenden Überraschungserfolg von «Bohemian Rhapsody» und dem schon kurz darauf folgenden, gerade erst sogar bei den Golden Globes bedachten Musical «Rocketman» erhält mit Udo Lindenberg nun auch ein deutscher Künstler sein filmisches Porträt im Rahmen dieser offenbar neu entflammten Liebe für Musikerbiopics. Und es ist ja auch naheliegend: Der in diesem Jahr bereits 74 Jahre alt werdende Rocksänger hat im Rahmen seiner Karriere über vier Millionen Tonträger verkauft. Auf Basis seiner unzähligen Ohrwürmer und Evergreens entstand ein Musical («Hinterm Horizont»), aktuelle Touren sind rasend schnell ausverkauft und auch für Kollaborationen mit angesagten Künstlern, wie etwa bei seiner MTV-Unplugged-Session, begibt sich Lindenberg raus aus seiner musikalischen Komfortzone. Lindenberg veröffentlichte insgesamt 36 Studioalben, 78 Singles und elf Live-Alben; die Liste anderweitiger Tonträger lässt sich unendlich fortsetzen.

Die Drehbuchautoren Alexander M. Rümelin («Winnetou – Das Geheimnis vom Silbersee»), Christian Lyra («Vaterfreuden») und Sebastian Wehlings («Fünf Freunde 4») ergriffen die Gelegenheit beim Schopfe und konzipierten mit «Lindenberg! Mach dein Ding» eine klassische Nacherzählung der frühen Karrierephase Lindenbergs; genauer: Jener Zeit, bevor aus dem träumerischen Klempnersohn ein umjubelter Rockstar wurde. Auch wenn das leider bedeutet, dass die Musik selbst in dem knapp zweieinhalbstündigen (!) Film noch gar nicht recht zur Geltung kommt. Schließlich gab es die meisten Hits der Titelfigur zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht.



Der Traum von der Rockerkarriere


Der junge Udo Lindenberg (Jan Bülow) versucht, in der Hansestadt Hamburg als Musiker Fuß zu fassen. Dafür arbeitet er in einem Striplokal auf der Reeperbahn als Schlagzeuger und hofft, über kurz oder lang entdeckt zu werden. Er lernt Paula (Ruby O. Fee) kennen, nicht seine erste große Liebe, aber eine „feurige Bordsteinschwalbe“ und leidenschaftliche Freundin. Hier gesellt sich Steffi Stephan (Max von der Groeben) dazu, sein Freund und Panik-Partner bis heute. Hier wächst die Idee seiner eigenen Band, ein Traum, den Udo schon seit seiner Kindheit in Gronau hat, als er James Stewart in der „Glenn Miller Story“ auf der großen Leinwand sieht. Doch sein Vater Gustav (Charly Hübner) hat ihm einst eingebläut: In der Familie Lindenberg werden die Männer Klempner. Doch Udo hat einen Traum. Und den will er erreichen…

«Lindenberg! Mach dein Ding» spielt hauptsächlich in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren. Ein Blick auf die Vita des Künstlers verrät: Sein erstes Album „Lindenberg“ erschien im Jahr 1971 und schaffte dato noch nicht einmal einen Einstieg in die deutschen Album-Top-100. Es geht in diesem Film also vorwiegend darum, wie der junge Udo seinen Weg vom Bar-Schlagzeuger hin zum Superstar gelang, obwohl ihm der Weg dorthin zumeist durch seine Eltern respektive äußere Einflüsse versperrt wurde. Es ist eine klassische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte. Und eine, bei der der musikalische Teil die meiste Zeit über eher in theoretischer Form stattfindet. Zwar wird bisweilen musiziert und auch Songtexte geschrieben, doch von Udos Hitsingles wie „Hinterm Horizont“, „Cello“ oder „Sonderzug nach Pankow“ erfährt man in der Regel allenfalls, woher Lindenberg Teile seiner Songtextinspirationen erhielt. So lernen wir zum Beispiel Paula aus St. Pauli kennen, die sich immer auszieht – und deswegen eine Erwähnung in „Andrea Doria“ erhielt. Und auch, dass das titelgebende Cello eigentlich gar kein Cello war, die wahre Tätigkeit von Udos Angebeteter allerdings längst nicht für einen vergleichbaren Megahit getaugt hätte.

Das sind alles hübsche Anekdoten, die das Skript hier wirklichkeitsgetreu und trotzdem wirkungsvoll präsentiert. Doch gleichzeitig richtet sich «Lindenberg! Mach dein Ding» dadurch aber eben auch genau an die Zuschauer, die bereits über ein solches Insiderwissen zu Udo Lindenberg verfügen, dass sie derartige Details auch entsprechend honorieren können. Nicht immer werden die Querverweise in Richtung späterer Lindenberg-Songs auch als solche dechiffriert und die Wirkung verpufft für diejenigen, die nicht jeden Lindenberg-Track in- und auswendig kennen.

Doch auch für Zuschauer abseits des Lindenberg-Fantums hat insbesondere die Regieführung von Hermine Huntgeburth Einiges mehr zu bieten als lediglich das Abhaken von Lindenbergs interessantesten Lebensabschnitten und damit einhergehenden Anekdoten. Die Inszenatorin solch unterschiedlicher Werke wie «Die weiße Massai» und «Bibi Blocksberg» erweckt in ihrem Film nicht nur das Hamburg der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre authentisch zum Leben (lebensechter hat das zuletzt wohl nur Fatih Akin mit «Der goldene Handschuh» hinbekommen, wenngleich dieser sich in seinem Werk mit deutlich düsteren Ecken der Hansestadt auseinandersetzte), sondern wagt sich für einen Abschnitt in Libyen, wo Lindenberg in den Jahren 1963 und 1964 als Truppenunterhalter stationiert war, auch vollständig hinaus aus diesem Setting.

Dass «Lindenberg! Mach dein Ding» dennoch wie aus einem Guss und nicht wie die Aneinanderreihung voneinander unabhängiger Stationen wirkt, liegt an Huntgeburths Sinn für eine stilsichere Inszenierung. Mit warmen Farben ausgeleuchtet und mit einem leichten Braunfilter überzogen, verortet sie sämtliche Setpieces in derselben Dekade. Die authentischen Kostüme, Frisuren und ein gutes Auge für eine detailverliebte Ausstattung lassen «Lindenberg!» nicht wie Bühnentheater, sondern wie eine üppige Abbildung des damaligen Lebens wirken. Zum Leben erweckt von fantastischen Haupt- und Nebendarstellern.

Jan Bülow («Abgeschnitten»), zu Beginn seiner Karriere vorwiegend als Theaterschauspieler bekannt und zuletzt unter anderem in der Netflix-Serie «Dogs of Berlin» zu sehen gewesen, hat sich den Duktus und die Mimik des Panikrockers hervorragend angeeignet. Auch die optische Ähnlichkeit zum jungen Udo Lindenberg trägt ihren Teil dazu bei, dass die Illusion der Lindenberg-Performance auch abseits des bloßen Interpretierens hervorragend aufgeht. Insbesondere bei den wenigen Bühnenperformances reißt der Akteur die Kamera vollends an sich. Das zu toppen, gelingt in diesem Film nur Detlev Buck («Magical Mystery») als exzentrischer Plattenboss. Doch auch Charly Hübner («Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?») gibt einen fantastischen Lindenberg-Vater mit Kodderschnauze zum Besten, der seinem Jüngsten immer wieder von einem Leben als Klempner zu überzeugen versucht und sein Talent als Musiker schlicht nicht sehen kann. Und Max von der Groeben beweist sich nach «Auerhaus» ein weiteres Mal als absolut geerdeter Schauspieler auch abseits seiner «Fack ju Göhte»-Paraderolle.

Unter den Schauspielerinnen sticht Ruby O. Fee («Sweethearts») als bereits zitierte Paula hervor. Mit ihrer verführerischen Attitüde einer eigentlich herzensguten Prostituierten, die den Widerspruch emotional greifbar macht, für Geld mit Männern zu schlafen und sich von ihrem Partner doch bedingungslose Treue erhofft, wickelt O. Fee nicht nur Udo, sondern auch das Publikum um den Finger. Die hier dargestellten Figuren sind allesamt echte Charaktertypen. Dem echten Udo Lindenberg, der das Publikum im Abspann noch mit einer Gesangsperformance beehrt, dürfte das nur zu gut gefallen.

Fazit


In «Lindenberg! Mach dein Ding» lässt Hermine Huntgeburth das Hamburg der Sechzigerjahre wiederauferstehen. Ihr gelingt ein detailgetreu inszeniertes Biopic über Udo Lindenberg, dem es für den ganz großen Wurf aber ausgerechnet an einer Sache fehlt: Musik. Die kommt für ein Musikerporträt nämlich erstaunlich kurz.

«Lindenberg! Mach dein Ding» ist ab dem 16. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.

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