Hintergrund

Die Willkür der App-Hersteller: Zensur & Co.

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Vor siebeneinhalb Jahren begann die Zeit der Videostreaming-Netzwerke. Vom Aufbruch kann dort aber keine Rede mehr sein, denn immer mehr Kontrolle findet dort statt.

Mit der App Vine war es erstmals möglich ein soziales Netzwerk mit Videos zu befüllen. Man mag es kaum glauben, dass diese Funktion erst im Juni 2012 an den Start ging. Die App von Dominik Hofmann und Rus Jussupow war zum Start bei Android, iOS und Windows 10 Mobile verfügbar. Im selben Jahr übernahm Twitter die Plattform, ehe man das Projekt am 17. Januar 2017 abwrackte. Das mobile Internet entwickelte sich in diesen Jahren so rasant weiter, dass man keine eigenständige Video-App mehr benötigte. Facebook, Instagram und Twitter haben umfangreichere und bessere Alternativen selbst gebaut.

Kurz nach dem Start von Vine etablierte sich auch die Videoplattform musical.ly, die vor allem junge Menschen ansprach. Nutzer der App hatten die Möglichkeit ihre Lippen synchron zu einem selbst ausgewählten Lied im Full-Playback zu singen. Dabei könnten sie unter anderem tanzen oder gestikulieren. Verschiedene Aufnahmegeschwindigkeiten, Filter und eigene Geräusche rundeten das Nutzererlebnis ab. Die App, die 2014 an den Start ging, hatte im August 2016 schon 140 Millionen Nutzer, darunter waren vier Millionen Deutsche.

Die App kam von Louis Yang und Alex Zhu, die das Handyprogramm in Shanghai entwickelten und auch in Los Angeles Büros eröffneten. Die Zielgruppe waren junge Menschen, allerdings meldeten sich auch oft unberechtigte Teenager unter 13 Jahren an. Vor knapp zwei Jahren veräußerten die zwei Gründer die App für einen Preis zwischen 800 Millionen und 1 Milliarden US-Dollar an Bejing Bytedance Technology. Knapp ein Jahr später wurde der Name gestrichen und die App durch den chinesischen Dienst TikTok übernommen.

Seit 2. August 2018 ist TikTok die weltweite Nummer eins in Sachen Playbackvideos. Der Dienst ist besonders bei der Generation Z beliebt, also Menschen, die zwischen 1997 und 2012 zur Welt kamen. TikTok setzte sich auch dank der Schließung der Twitter-App Vine durch, die einen Markt für Kurzvideos hinterließ. Während die Macher die Vorgänger-Apps noch offen mit Menschenrechten umgingen, steht Bejing Bytedance Technology unter strenger chinesischer Führung. Neben Nacktheit und Alkoholkonsum ist auch die Verbreitung Homosexualität und deren Befürwortung untersagt. Nutzer, die gegen diese Vorgaben verstoßen, werden gesperrt.

Die Geschichte von TikTok ist von Wachstum und viel Geld geprägt. Die chinesische Firma hat inzwischen über eine Milliarde TikTok-Downloads vorzuweisen und dominiert den jungen Smartphone-Markt. Vor knapp einem Jahr wurden 4,1 Millionen deutsche Nutzer verbucht, die die App im Schnitt 39 Minuten pro Tag nutzten. Neben Sexismus und Cyber-Mobbing ist die mobile Applikation genauso in Verruf geraten, wie wegen der Zensur von politischen und religiösen Inhalten. In einigen Ländern dürfen bestimmte Inhalte gar nicht thematisiert werden, in der Türkei ist beispielsweise Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdogan verboten. In Deutschland wäre es unvorstellbar, Kritik an einer Führungsperson wie Dr. Angela Merkel zu verbieten. Gerade rechtsextreme Meinungen dominierten das Netz, aber auch linke wie Aussagen der Mitte haben in Deutschland Platz.

Einer 17-jährigen Userin gelang es vor Kurzem, die Zensur von TikTok zu umgehen. Feroza Aziz, so der Name der jungen Frau, die aus dem asiatischen Raum stammt, begann ihr Video mit einem Schmink-Tutorial, ehe sie Kritik übte. Sie warf der Volksrepublik China vor, die Muslime in der Provinz Xinjiang zu unterdrücken und zu töten. Aziz hat natürlich leicht reden, immerhin lebt die Frau selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika und kann dort ihre Meinung frei äußern. Ihr TikTok-Video wurde rund zwei Millionen Mal angeklickt, bei Twitter kam der gleiche Inhalt auf sieben Millionen Aufrufe.

Die Geschichte mit TikTok zeigt die Schwachstellen der digitalen Welt. Zum einen können Staaten Apps grundsätzlich sperren und Inhalte als legal oder illegal einstufen. Selbst die amerikanischen Konzerne arbeiten oftmals mit den chinesischen Behörden zusammen, weil der dortige Markt ein großes Umsatzwachstum verspricht. Zum anderen können natürlich auch die App-Hersteller Nutzer willkürlich aussperren. Während es beispielsweise inzwischen in Deutschland Nachtclubs und Märkten untersagt ist, eine bestimmte Personengruppe abzulehnen, kann bei Apps weiterhin regelwidrig gehandelt werden.

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