Popcorn & Rollenwechsel

Tagliatelle Bolognese

von

Wenn Bob meint, es besser als Karen zu wissen, es ihr aber auch mit voller Wucht reinzureiben versucht …

Das geschah zuletzt bei 'Popcorn und Rollenwechsel': Dank des Internets ist es leichter denn je, sich über die Filme zu informieren, die man ansprechend findet. […] Was also muss passieren, damit das "Es läuft nichts, was mich anspricht, das war einst anders ..."-Gewimmer aufhört ..?

Und jetzt … Die Auflösung!


Karen lädt Bob zum Essen ein. Sie bereitet ihm eine Pizza zu, die sie mit geriebenem Cheddar belegt hat. Bob merkt bei diesem Anblick an, dass eine echte Pizza ja niemals mit diesem britischen Käse belegt werden würde. Karen rollt mit den Augen. Beim Dinner in ihren gedimmt beleuchteten, heimischen vier Wänden mündet das Gespräch erneut ins Themengebiet "Italienische Küche". Sie schwärmt von der Hackfleischsoße nach Rezept ihrer Mutter, die sie am liebsten mit Spaghetti und viel, viel Parmesan isst. Bob raunzt sie an, das sei falsch, Karen hätte keinerlei Geschmack und solle sich schämen.

Liebes Publikum: Sollte Karen jemals wieder Bob zum Essen einladen?

Sollte Karen jemals wieder Bob zum Essen einladen?
Nein, auf gar keinen Fall!
71,4%
Ja, der Mann hat Ahnung, Karen kann von ihm lernen!
14,3%
Hängt vom restlichen Date ab ...
14,3%


Liebe Filmvernarrten: Wir sind Bob, wann immer wir lamentieren, dass das Publikum doch nur dumme Scheiße gucken würde und dass wir ja leider nichts dafür könnten, dass die Anderen den Untergang des Kinos provozieren, indem sie in die Falschen Filme gehen. Ja, Bob hat Recht, in der Heimat der Pizza ist Cheddar als Käsebelag verpönt. Ist aber vollkommen egal: Schmeckt super. Solange niemand eine Cheddar-Bacon-Pizza als "authentisch italienisch" präsentiert, gibt es keinen Grund, die Nase zu rümpfen. Ja, Spaghetti Bolognese sind eine Unart, die sich abseits Italiens entwickelt hat. Schwere Soßen werden in Italien üblicherweise nicht mit Spaghetti gegessen, da deren Form und Konsistenz dafür sorgten, dass sie solche Soßen schlecht aufnehmen. So etwas kann man anbringen, doch dann bitte in einem anregenden, denn beschimpfenden Tonfall. Oder glaubt ihr, Karen hat Lust, ein offenes Ohr für Bobs Ratschläge zu haben, nachdem er sich so aufgeführt hat?

Traurigerweise glauben wir Filmfreaks oftmals, genau so zum Ziel zu kommen: Man besuche ein beliebiges Filmforum, stöbere lang genug durch Filmdiskussionen auf Twitter, Facebook und Co. oder spitze die Lauscher, und höre Foyergespräche auf Filmfestivals oder Pressevorführungen ab. Unentwegt wird man was von Dummheit hören, miesem Geschmack, Tumbheit, Ahnungslosigkeit oder "viel zu leicht zufrieden zu stellen". "Kein Wunder, dass «Das wundersame Leid der einsamen Ruderin aus dem Südwesten Portugals (oder: Wie wandelbar der Weidenkorb» ein Flop ist, wenn sich die ganzen Idioten nur für das neuste Disney-Remake interessieren", keift der vollbärtige Schwarzhemdträger sein Gegenüber an und zeigt mahnend auf die Masse, die gerade in Saal eins strömt, wo das jüngste Remake aus dem Maushaus läuft.

Gewiss. So mancher Kassenerfolg kann frustrierend sein. Jon Favreaus «Der König der Löwen» etwa ist eine seelenlose, völlig von kreativem Antrieb befreite Neuauflage des vitaleren, emotionaleren, einfallsreicherem Zeichentrickklassikers aus dem Jahr 1994. Und doch liegt der computeranimierte Film mit einem Einspielergebnis von derzeit 1,51 Milliarden Dollar bereits auf Rang neun der weltweit erfolgreichsten Filme – und er wird alsbald «Avengers» sowie «Fast & Furious 7» überholen, um es sich somit auf Platz sieben bequem zu machen.

Angesichts meiner desaströsen Meinung zu diesem Film frustriert mich das und ich wünschte mir, wenn ein ordentlicher Batzen der «Der König der Löwen»-Einnahmen stattdessen in «Wir», «John Wick – Kapitel 3: Parabellum», «Once Upon a Time in Hollywood», «Rocketman», «Capernaum - Stadt der Hoffnung» und «The Favourite - Intrigen und Irrsinn» geflossen wäre. Aber: Es bringt nichts, sich abfällig über den Erfolg des Films zu wundern. Denn der kommt nicht überraschend. Schließlich sagt das Einspielergebnis nicht nur etwas über die Qualität, sondern auch über die Vermarktung und Zugänglichkeit eines Films aus – sowie darüber, wie viele Leute schlicht Lust auf ihn haben. Disney ist (meistens) meisterlich in Sachen Marketing. Der Originalfilm erfüllt mehr als eine Generation an Menschen mit wohligen, nostalgischen Gefühlen. Also gehen «Der König der Löwen»-Fans auch ins Remake. Und schleppen ihre eigenen Kinder mit. Die neue Generation bekommt eine erwiesenermaßen packende Geschichte präsentiert. Und die Animationstechnik ist ja beeindruckend – sie steht der Story im Weg, aber um da mitreden zu können, muss man ja erst einmal ein Ticket lösen …

Es bringt nichts, Leute anzuschnauzen, weil sie in den neuen «Der König der Löwen» gehen. Will man Menschen für originellere Filme gewinnen, für welche, die nicht allein handwerklich, sondern auch künstlerisch ambitioniert sind, darf man nicht motzen, sondern muss locken. Anreize bieten, weshalb diese Leute auch was anderes probieren sollen. Quentin Tarantino beherrscht das meisterhaft: Er hat zwar eine große, vulgäre Klappe, aber er verurteilt Leute nicht für ihre Filmdiät. Stattdessen nutzt er Interviews, öffentliche Auftritte und seine Filme, um mit Begeisterung und Eifer Lust auf seine Einflüsse zu machen. Er will ein Feuer entfachen, nicht den Wind aus den Segeln nehmen.

Anders gesagt: Bob hätte auf Karen zugehen müssen, sie bei ihrer Begeisterung für Pastagerichte abholen und fragen sollen, ob sie mal Hackfleischsoße zu frischen, daher rauen und "greiffähigen" Tagliatelle versucht hat. So besteht eher die Chance, dass sie fragt: "Nein, wieso? Sollen wir das das nächste Mal machen?" Oder, nun ja … Genauso gut kann man der guten Karen ihre Spaghetti mit Hack auch gönnen und sich ohne Belehrung in die Weiten der italienischen Küche stürzen. Auch das kann Entdeckerlust wecken. Kurzum: Weniger Nase hoch, mehr ansteckend-begeistertes "Hey, weißt du, was dir gefallen könnte ..?"

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