Popcorn & Rollenwechsel

Die Marktlücke als Chance

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Und jetzt alle zusammen: Die Vielfalt auf dem Filmmarkt ist gegeben, wir schauen einfach nicht hin.

"Disney zerstört das Kino, denn Disney hält aktuell über 30 Prozent des Kinomarktanteils, das kann nicht gut für die Vielfalt auf den Leinwänden sein", jammern jene, die sich ein bisschen mit der aktuellen kinowirtschaftlichen Lage befassen, aber letztlich doch nur an der Oberfläche kratzen. So übersehen diese Pessimisten eine wichtige, grundlegende Tatsache: Der Marktanteil, den ein Studio am Kinomarkt hält, kann sich jederzeit schlagartig ändern und ist sowieso eine eher arbiträre Maßeinheit.

Denn der Marktanteil am Kinomarkt sagt ja letztlich bloß aus: So viele der verkauften Tickets gingen an Filme aus Studio X. Dieser Wert fluktuiert, je nachdem, wie sehr das Publikum auf die Projekte der verschiedenen Studios anspringt. Anders als Coca-Colas Markanteil an Softgetränken in Deutschland oder Nestlés Marktanteil an den Waren in deutschen Supermärkten können sich die Kinomarktanteile der Studios schlagartig verändern.

2018 beendete Disney das deutsche Kinojahr mit 14,1 Prozent und somit hinter Universal (20,6 Prozent) und Warner Bros. (22,9 Prozent) – so viel schon einmal zur vermeintlichen Übermacht der Maus. Ja, dieses Jahr scheint Disney unbezwingbar zu sein, doch vergangenes Jahr sah dies anders aus und es ist sehr gut möglich, dass dem auch 2020 so sein wird. Der Marktanteil am Kinogeschäft ist für Filmstudios etwas, womit sie gegenüber Investoren prahlen können, und wer auch immer gerade die Überhand hat, hat auch gegenüber den Kinos ein anderes Verhandlungsgewicht. Und selbst dieser Punkt ist nicht so bedeutsam, wie er gerne gehandelt wird. Denn für den berüchtigten "Filmzuschlag" diverser Lichtspielhäuser für potentiell publikumsstarke Filme sind nämlich viele Studios zuständig, nicht allein die Maus. Genauso wie, so funktioniert leider der Kapitalismus, alle großen Hollywood-Studios mal humane, mal knallharte Verhandlungspartner sind, wann immer es um die Verteilung von Leinwänden und Spielzeiten geht. Stets je nachdem, von welcher Verhandlungstaktik man sich gerade mehr Erfolg verspricht.

Über den Erfolg eines Studios gibt der Marktanteil sowieso nur eine vage Aussage – er sagt höchstens etwas über den Abstand zu den Mittbewerbern aus. Beispiel: Hätten die Filme aus dem Hause Disney dieses Jahr nur halb so viele Karten verkauft, läge der Marktanteil Disneys am deutschen Kinogeschehen des bisherigen Jahres 2019 bei nur etwas mehr als 15 Prozent. Und die Kinos? Die würden bloß über noch weniger Besucher klagen, niemandem wäre geholfen. Hätten Leute für jeden Film aus dem Hause Disney auch eine Karte für einen Universal-Film gekauft, würde Disneys Marktanteil ebenfalls schmelzen – Disney hätte in diesem Fall dennoch ein rekordverdächtiges Jahr hingelegt. Oh, und wir hätten wieder Kinobesucherzahlen wie aus einem früheren Jahrzehnt. Denn, Eilmeldung: Bloß, weil ein Kinosaal mit «Avengers || Endgame» ausverkauft ist, bedeutet das nicht, dass zwei andere Säle mit anderen Filmen leer bleiben müssen. Das Kinojahr 2019 hat in Deutschland bislang nur einen Film mit mehr als fünf Millionen Ticketverkäufen produziert. 1994 gab es dagegen sechs Hits, die über fünf Millionen Kinofans schwer waren. Der Erfolg eines Films verhindert nicht sogleich den Erfolg anderer Filme.

Anders gesagt: Nicht das Studio, das dieses Jahr weiter Erfolge schreibt, ist schuld an der Kinokrise, sondern das kinofaule Publikum.

Was, aktuell, jedoch stimmt: Die Bandbreite an Filmen, die der Disney-Konzern in die Kinos entlässt, ist geringer als die anderer Hollywood-Großstudios. Unter dem derzeitigen CEO Bob Iger hat sich der Disney-Konzern sukzessive auf das Blockbuster-Geschäft eingeschossen. Große Animationsspektakel, Marvel, «Star Wars», die «Pirates of the Caribbean»-Reihe und Fortsetzungen sowie Remakes alter Disney-Klassiker dominieren den Output des Disney-Filmarmes. Kleine Dramen wie «Queen of Katwe» sind eine Rarität geworden, ebenso wie Filme mit einer höheren US-Altersfreigabe als PG-13. Das war nicht immer der Fall, und ich werde nicht müde, darüber wehzuklagen, dass Disney seine mittelgroßen und kleinen Filme sowie seinen R-Rated-Output drastisch eingekürzt hat. Zwar trägt auch hier das Publikum eine gewisse Mitschuld (wären «Million Dollar Arm», «Queen of Katwe» und «The Finest Hours» Erfolge geworden, würde Disney mehr Filme dieser Art produzieren), gleichwohl muss ich Disney hier schon vorwerfen: Ey, ihr seid Disney, ihr seid herausragend in Sachen Marketing, würdet ihr euch mehr dahinterklemmen, würdet ihr auch wieder mit "kleinerer" Ware Profit erzielen, das hat doch jahrzehntelang bei euch geklappt.

Dennoch ist es albern, Disney die Schuld an mangelnder Vielfalt in den Multiplexen in die Schuhe zu schieben. Zunächst einmal, weil wir in einer Filmära leben, in der vor acht Monaten beispielsweise gleichzeitig ein Zombie-Weihnachts-Teenie-Musical, ein Hape-Kerkeling-Biopic und «Aquaman» sowie der Drogentrip-Tanzfilm «Climax» in den Kinos liefen. Aktuell wiederum kann man sich ein eigenes Kinowochenende aus «Vox Lux» (einer Art: "Hätte Lars von Trier «A Star Is Born» gedreht"), der Beatles-RomCom «Yesterday», der Mukoviszidose-Tragikomödie «Drei Schritte zu Dir», der Teeniekomödie «Abikalypse», dem Elton-John-Musical «Rocketman», dem harten Actioner «John Wick: Kapitel 3 – Parabellum» und Pedro Almodovars autobiografisch angehauchtem Drama «Leid und Herrlichkeit» sowie der verspielten Berlin-Komödie «Cleo» zusammenbauen, würde man sich einfach nur die Mühe machen, mal die verdammten Spielzeiten der Kinos in der eigenen Nähe zu studieren.

Vielfalt ist da, viele sehen sie bloß nicht oder machen nicht von ihr Gebrauch. Das ist wohl kaum Disneys, Universals oder Warners Schuld, es ist nicht einmal die Schuld der von hochnäsigen Cineasten so verhassten Multiplexe, da selbst diese im Regelfall mehr als nur die aktuellen Blockbuster zeigen. Es ist die Schuld jener, die dauernd wimmern "Es kommt nur noch der selbe Mist im Kino", obwohl sie es besser wissen, und die somit jene demotivieren, die Kinolust hätten, es aber nicht besser wissen. Darüber hinaus: Wenn ein Studio bestimmte Filmware derzeit kaum noch anbietet, ist ja niemand von der Konkurrenz verpflichtet, das nachzumachen.

Das Gegenteil ist sogar der Fall: Es zeigte sich in den vergangenen Jahre mehrfach, dass es für die Konkurrenz ergiebiger ist, in die Marktlücke zu zielen. Seit DC nicht weiter die Marvel-Studios-Formel nachahmt und seine Filme eng miteinander verbindet, sondern sie in einem Limbo aus Eigenständigkeit und loser Konnektivität schweben lässt, kamen Hits wie «Wonder Woman» und «Aquaman» zustande. In einer Filmwelt voller PG-13-Blockbuster aus dem Disney-Konzern und von jenen, die dessen Hitformel der vergangenen Jahre nachahmen, erstarkt die «John Wick»-Filmreihe mit jedem neuen Teil, sie mausert sich vom Geheimtipp zum bemerkenswerten Kassenschlager. Quentin Tarantino schreibt aktuell Karrierebestwerte. Das Horrorgenre erlebt seit ein paar Jahren dank «Get Out», «Es», «A Quiet Place» und Co. ein wirtschaftliches Hoch sowie eine selten dagewesene Akzeptanz bei der Kritikerschaft. Aber, klar, heulen wir den Leuten doch von der Homogenisierung der Filmlandschaft vor, denn Negativität bringt Klicks!

Die Stammtischlogik "Weil Disney so viel Erfolg hat, werden alle Disney nachmachen und das ist ja voll blöd" ist also selber, nun ja … voll blöd. Die Nachfrage nach Filmgattungen, die der Disney-Konzern momentan vernachlässigt, ist weiterhin gegeben – und die Studios, die diese Nachfrage mit Angebot beliefern, werden dafür entlohnt. So simpel ist es. Nur eignet sich das wohl nicht für ein paar provokante "Der aktuelle Marktführer ist böse!"-Tweets, die mit einer "Nur Underdogs sind unterstützenswert!"-Moralität locker-flockig nach Likes gieren. Pech aber auch.

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