Interview

Martina Zöllner: '«24h Europa» versucht, ein authentisches, wahrhaftiges Bild Europas zu vermitteln'

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Anlässlich der Echtzeitreportage «24h Europa» hat Quotenmeter.de mit Martina Zöllner vom rbb über den europäischen Gedanken, den Reiz von Echtzeitformaten und die Verantwortung der Medien gesprochen.

Zur Person

  • Die Journalistin, Schriftstellerin, Fernsehredakteurin und -Managerin wurde 1961 geboren
  • Sie war lange Zeit beim SWR tätig, etwa von 2011 an als dessen Kulturchefin Fernsehen
  • Im Juni 2017 wechselte sie zum rbb
  • Dort leitet sie den mit ihrem Antritt neu geschaffenen Programmbereich 'Doku und Fiktion'
Wieso ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um «24h Europa» zu machen?
Zum einen bietet es sich ganz konkret an, weil die Europawahl ansteht. Zum anderen gibt es viele Vorbehalte gegen die Idee Europa - gegen eine Stärkung der Europäischen Union etwa. In vielen europäischen Ländern sind starke nationalistische Strömungen aufgekommen - und denken Sie nur an den Brexit. Europa ist daher auf die eine oder andere Weise Dauerthema der journalistischen aktuellen Berichterstattung. Unser Gedanke war, daher, den Kontinent einmal ganz anders in den Blick zu nehmen. 24h Europa erzählt Geschichten aus dem Alltag junger Europäerinnen und Europäer zwischen zwanzig und dreißig, erzählt von deren Problemen wie Hoffnungen, ihren Vorstellungen für die Zukunft. Das ist ein Panoramabild; einen Tag schauen wir ihnen beim Leben zu. «24h» ist als Konzept ja nicht neu, auch nicht für den rbb. Wir wussten daher, dass es ein großes Unterfangen sein wird - und eine echte Herausforderung, das Konzept auf einen Kontinent anzuwenden.
 
Rührte der Gedanke her, Millennials als Protagonisten für «24h Europa» zu nehmen, damit in Zeiten des Hinterfragens der europäischen Idee die Dokumentation einen etwas optimistischeren Einschlag erhält?
Das würde ich nicht sagen. «24h Europa» zeigt keine Idylle; sondern ungeschönte Einblicke in typische Tage, damit auch viel von den Sorgen unserer Protagonisten. Da ist zum Beispiel ein junger Bauer an der irischen Grenze, der nicht weiß, was der Brexit ihm bringen wird. Wir blicken in «24h Europa» auch in die Ukraine, ins Kriegsgebiet. Den letzten Jungen aus einem rumänischen Dorf, das einen immens hohen Altersdurchschnitt hat, lernen wir kennen; er will unbedingt weg. Das war uns wichtig: Mit unseren Protagonisten auch bestehende soziologische Trends abzubilden, die Europa in Zukunft prägen werden. Demographischer Wandel bzw. die Überalterung der Gesellschaft, die Folgen der Digitalisierung auf den Niedriglohnsektor, überhaupt auf die Arbeitsmärke, den sogenannten Gender Shift und so weiter.

Wir zeigen Aspekte, die weh tun. «24h Europa» versucht, ein authentisches, wahrhaftiges Bild Europas zu vermitteln, bei dem einem aber auch wegen der kulturellen Reichhaltigkeit, der Vielfalt der Sprachen und Landschaften sowie der Lebenszusammenhänge und der Stadt- und Landbilder das Herz aufgeht.
 
Mein Gedanke rührte auch allein daher, dass man mit Millennials eine Generation in den Fokus stellt, die selber der europäischen Idee sehr aufgeschlossen gegenübersteht, ganz gleich, welche Sorgen sie sich um deren Zukunft macht.
Ich weiß nicht, ob das so generell stimmt. Die Jungen sind eben per se überzeugter und aktiver, das ist wohl der Grundoptimismus der Generation, die sich aufmacht. Sie gehen raus und wollen ihr Leben gestalten, und ja, viele sind selbstverständlich in Europa unterwegs. Aber auch unter den Jungen gibt es, das ist auch zu sehen, nicht wenige nationalistisch oder fremdenfeindlich Denkende, auch solche, die sich dann in entsprechenden Parteien engagieren.

Welche Möglichkeiten haben die Medien, um wieder größeres Vertrauen in die europäische Idee herzustellen?
Unsere Aufgabe ist es, zu berichten oder zu dokumentieren und nicht politische Meinungsmache zu betreiben. Fundiert recherchierte Berichterstattung, Zusammenhänge erklären, genau hinsehen, natürlich auch kritisch zu berichten, wo die Zustände problematisch sind. Es liegt in der Natur des Journalismus, dass er vor allem auf die Missstände schaut und ihre Ursachen ermitteln will. Dabei kommt, was gut läuft, manchmal auch zu kurz. Deswegen hat der rbb im Übrigen jetzt ein Constructive-Journalism-Format aufgelegt, das sich dem nähert. Wir keine Politiker und propagieren keine politische Position. Wir bilden die Realität journalistisch oder im Fall von «24h Europa» dokumentarisch ab.

Da Sie das konstruktive Format erwähnen: Ich habe die Beobachtung gemacht, dass positive Berichte gern als Fluff oder gar Ablenkung vom Ernst der Dinge abgetan werden. Wie möchten Sie vorbeugen, dass das auch dem neuen rbb-Format geschieht?
Ich habe solch eine Rezeption bisher nicht in nennenswertem Maße erlebt. Im Gegenteil: Wir haben durch Publikumsreaktionen den Eindruck gewonnen, dass große Nachfrage besteht, Geschichten des Gelingens zu hören und zu sehen. Der kritische Journalismus ist eine Sache, für den die Öffentlich-Rechtlichen stehen, und es ist heute womöglich wichtiger denn je, da hinzugehen, wo es weh tut. Dennoch darf man nicht übersehen, dass "wir Medien" zuweilen vergessen, wie erzählenswert manche Geschichten des Gelingens sind. Die muss man ja nicht in einem affirmativen, beschönigenden Tonfall erzählen. Sondern eben genau und wahrhaftig.
 
Wir sind ja alle die einschlägigen Doku-Fernsehformate gewohnt, etwa die klassische Reportage. Und das sind immer Verknappungen von Zeit, selbst wenn das Publikum sich das beim Schauen nicht bewusst macht. Solche Zeitsprünge durch Schnitte kauft man einfach. Bei der Echtzeit ist das anders, von ihr geht der Reiz des Unmittelbaren aus.
Martina Zöllner
«24h Europa» ist ja längst nicht Ihr erstes Echtzeit-Format. Was ist das mit Ihnen und dem Erzählen in Echtzeit ..? (lacht)
Wir sind ja alle die einschlägigen Doku-Fernsehformate gewohnt, etwa die klassische Reportage. Und das sind immer Verknappungen von Zeit, selbst wenn das Publikum sich das beim Schauen nicht bewusst macht. Solche Zeitsprünge durch Schnitte kauft man einfach. Bei der Echtzeit ist das anders, von ihr geht der Reiz des Unmittelbaren aus. Man ist einfach in Situationen dabei. Hinzu kommt außerdem, dass generell alles verkürzter wird, wir sehen die Welt vermehrt in der Form von Clips, vor allem in den sozialen Netzwerken. Ich habe die These, dass dadurch auch eine Gegenbewegung beim Publikum entsteht: Das Bedürfnis nach großen Erzählbögen, nach Ruhe und Ausführlichkeit. Daher ist Binge Watching so beliebt – und eine lange Echtzeitdoku ähnelt dieser Seherfahrung.
 
Wie geht es weiter mit «24h»? Ein «24h Welt» dürfte ja ein logistischer Albtraum sein … (lacht)
In der Tat, und natürlich komplett unsinnig! Sollte ein weiteres «24h» kommen, vielleicht auch wieder mit dem rbb, muss es der richtige Fokus zur richtigen Zeit sein, um einen Mehrwert zu erzeugen. Was das sein könnte, weiß ich heute nicht – mal sehen.
 
Vielen Dank für das Gespräch.

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