Die Kino-Kritiker

«The Hate U Give»: Polizeigewalt, Code Switching und Frustration

von

Die sozialkritische Jugendbuchadaption «The Hate U Give» handelt von einer Jugendlichen, deren Leben durch ein tragisches Ereignis aus der Balance gerät.

Filmfacts «The Hate U Give»

  • Regie: George Tillman Jr.
  • Produktion: Robert Teitel, George Tillman Jr., Marty Bowen, Wyck Godfrey
  • Drehbuch: Audrey Wells; basierend auf dem Roman von Angie Thomas
  • Darsteller: Amandla Stenberg, Regina Hall, Russell Hornsby, K. J. Apa, Common, Anthony Mackie
  • Musik: Dustin O'Halloran
  • Kamera: Mihai Malaimare Jr.
  • Schnitt: Craig Hayes, Alex Blatt
  • Laufzeit: 133 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Basierend auf dem gleichnamigen, auf die aktuelle US-Zeitgeschichte reagierenden Jugendroman erzählt «The Hate U Give» von einer Jugendlichen, die eine Art Doppelleben führt – bis ihre Welten zum Einsturz gebracht werden: Starr Carter (Amandla Stenberg) lebt mit ihrer Familie in der hauptächlich von Schwarzen bevölkerten Nachbarschaft Garden Heights. Zur Schule geht sie jedoch außerhalb ihres Heimatviertels, nämlich auf der Privatschule Williamson Prep., wo sie als Schwarze zu einer deutlichen Minderheit gehört. Oberflächlich betrachtet ist die Williamson Prep. eine aufgeschlossene Schule, aber wenn man genauer hinschaut, erkennt man, wie sehr sich Starr verstellen muss, um in keine Schublade gesteckt zu werden und so einen reibungslosen Schulalltag zu gewähren.

In ihrem Viertel derweil bemüht sich Starr eifrig darum, aus ihren Besuch an der Williamson kein großes Ding zu machen, weil sie nicht als arrogant angesehen werden möchte. Diese subtilen Identitätenverschiebungen, die Starr in ihrem Leben durchmacht, gehen ihr scheinbar leicht von der Hand. Aber eines Abends werden sie und ihr Jugendfreund Khalil Harris (Algee Smith) von der Polizei angehalten. Als Khalil die nervöse Starr zu beruhigen versucht, eskaliert die Lage irrationalerweise – und Starrs Leben wird von einem aggressiven Cop für immer aus dem Gleichgewicht gebracht …

Obwohl «The Hate U Give» eine fiktive Geschichte erzählt, nährt sich diese aus Stoffen, die in den vergangenen Monaten und Jahren US-Schlagzeilen geschrieben haben. Von übergriffigen weißen Polizisten mit verflucht kurzem Geduldsfaden über bigotte Nachrichtensendungen, die Aggressoren den Rücken stärken, weil es leichter zu verdauen ist als Kritik an tiefgreifenden gesellschaftlichen Problemen bis hin zu Entspannungsaktivismus: «The Hate U Give» zieht eine Schneise der Kritik durch ein Dickicht an Faktoren, die die USA in der Gegenwart ausmachen und die zugleich ein nur dezent verzerrter Spiegel dessen sind, was auch in anderen Ländern schief läuft.

Dabei bleibt «The Hate U Give» weitestgehend nah an seiner Hauptfigur und vollführt seine Sozialkritik auf Basis ihrer charakterlichen Wandlung: Die von «Die Tribute von Panem – The Hunger Games»-Mimin Amandla Stenberg mit magnetischer Ausstrahlung und umwerfender Wandlungsfähigkeit gespielte Jugendliche beginnt den Film als eine Person, die ihre Lebenssituation hinnimmt. Sie muss ihr Verhalten ständig hinterfragen, um nicht ungerechtfertigt stigmatisiert zu werden – und sie hat eingangs kein Problem damit. Sie zögert nach ihrer schockierenden, traumatisierenden Begegnung mit der Polizei, für ihr Recht einzustehen – so sehr hat sie das Duckmäusertum verinnerlicht. Und kaum macht sie von ihrem Recht auf Widerrede Gebrauch, wird sie von allen Seiten dafür angegriffen.

Das weckt in Starr sukzessive den Willen, für sich einzustehen – und so, wie «The Hate U Give» diese Formierung von Starrs Rückgrat schrittweise skizziert, vermeidet dieser politisch engagierte Film die Falle, moralisierend und schwerfällig-didaktisch daherzukommen. Völlig trittsicher ist «The Hate U Give» jedoch nicht: Vor allem zu Filmbeginn erklären Regisseur Tillmann und Drehbuchautorin Audrey Wells durch Rückgriff auf Erzählkommentare Dinge kleinschrittig, die sich durch das Filmgeschehen von selbst erläutern. Gegen Schluss derweil dämpft ein versöhnlicher Erzählkommentar die gesellschaftskritische Tonalität des finalen Filmakts und verschenkt so verdientes sowie hart erarbeitetes, emotionales Potential.

Die Kamerarbeit und Bildästhetik derweil ist effizient und konsequent – so wird die Privatschule in kühleren Farben gefilmt, während Starrs heimisches Viertel in warmen Farben zu sehen ist –, selbst wenn die Umsetzung etwas künstlich-durchgefiltert ist. Das ist allerdings leicht verziehen, da der Film zum großen Teil von Stenbergs packender Darbietung lebt. Die Mimin bringt subtile und weniger subtile Codeswitchings ihrer Rolle behände mit Änderungen in Stimmfarbe, Körperhaltung und Blicken rüber – und so zeigt der Film auf, wie schnell Menschen gesellschaftlich marginalisiert werden und dazu gedrängt, sich zu verstellen.

Auch Rapper Common überzeugt als Starrs Onkel, der seine Stellung als Polizist nutzen will, um die Lage zu deeskalieren, der jedoch seine eigenen Doppelstandards verfolgt, während Marvel-Star Anthony Mackie in seinen raren Szenen leider bloß aufgrund des seine Figur dünn abreißenden Drehbuchs nur einen stereotypen Pappkameraden geben kann. Solcher Schönheitsfehler zum Trotz ist «The Hate U Give» ein emotional mitreißender, brandaktueller und empathischer Film über soziale Missstände und die Notwendigkeit, gegen sie anzukämpfen.

«The Hate U Give» ist ab dem 28. Februar 2019 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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