Die Kritiker

«Tatort - Zorn»

von

Det is' doch nix hier: So urteilt eine der Episodenfiguren des dieswöchigen «Tatorts» über ihre Ruhrpott-Lebenssituation. Dasselbe Urteil passt leider auch zur Folge.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jörg Hartmann als Peter Faber
Anna Schudt als Martina Bönisch
Aylin Tezel als Nora Dalay
Rick Okon als Jan Pawlak
Sybille J. Schedwill als Greta Leitner
Peter Kremer als Klaus Radowski
Thomas Lawinky als Ralf Tremmel

Hinter der Kamera:
Produktion: Bavaria Fiction GmbH
Drehbuch: Jürgen Werner
Regie: Andreas Herzog
Kamera: Wolfgang Aichholzer
Stillstehende Zechen, angesiffte Kawasaki-Straßenlaternen, verfallene Häuser: Regisseur Andreas Herzog will uns gleich mit seinen ersten Einstellungen überdeutlich machen, wo die Reise wieder hingehen soll – in den Ruhrpott, einen rauen, grauen, tristen Ort, der verfällt, degeneriert, abstirbt.

Um das in vielerlei Hinsicht nicht unwahre Klischee von den letzten Zügen des Strukturwandels, den kaputten Existenzen und den noch kaputteren Biographien noch dezidierter zu bedienen, geht es für Faber (Jörg Hartmann), Bönisch (Anna Schudt), Dalay (Aylin Tezel) und Pawlak (Rick Okon) zügig zu einer Pils-seligen Versammlung ehemaliger Bergmänner, deren Zeche als eine der letzten im Revier dichtgemacht hat. Zwanzigtausend Euro Abfindung pro Bergmann bietet das Unternehmen: pauschal, ob mit ramponierter Gesundheit oder nicht. Der, der den Deal reinen Gewissens verhandelt hat, gilt in der Gruppe als Verräter, das Geld als lachhaft.

Einer der Kumpel ist vor wenigen Stunden aus nächster Nähe erschossen worden: eine Tat unter (ehemaligen) Freunden, sind sich die Dortmunder Kommissare schnell sicher. So landet Faber bald im Wohnwagen mit einem der ehemaligen Kohlearbeiter, die nun vor dem nichts stehen. Und in seiner Wut auf „die da oben“, auf den Staat, auf die Gesellschaft, auf das Leben empfindet der misanthropische Ermittler vielleicht zum ersten Mal in seiner «Tatort»-Karriere aufrichtige Empathie.

Mit vielen waghalsigen Wendungen schlängelt sich der Fall weiter: ins Reichsbürger-Milieu, in den überbürokratisch-zwielichtigen Verfassungsschutz, durch verfallene Wohnhäuser und rustikale Eckkneipen. Doch all das bleibt – wie das Ende des Bergbaus – bloße Kulisse. Stattdessen verplempert „Zorn“ seine Zeit mit einem unausgegorenen Mordfall, dessen einziger Reiz im Kern darin besteht, immer wieder kleine Figurenbetrachtungen und Milieustudien anzustoßen. Nur bleiben die eben Stückwerk und Klischees, und enden damit, dass eine desillusionierte Dortmunderin in ihrer verfallenen Wohnung steht, die nur noch mit improvisierten Stahlbalken am Einstürzen gehindert wird, und mit einem prägnanten „Det is’ doch nix hier“ Lebensbilanz zieht. Was in anderen Filmen mit ernsthaftem Interesse an ihrem Untersuchungsfeld der Ausgangspunkt wäre, wird hier bereits als zielführende Diagnose des allgemeinen Elends präsentiert.

Das eher aus Pflichterfüllung abgearbeitete Privatleben der Ermittlerfiguren ist in dieser Woche ebenso wenig ergiebig und wirkt vor dem Hintergrund der anderweitigen Themen gar völlig deplatziert: Martina Bönisch plagen grässliche Rückenschmerzen, für deren Behandlung Faber (ausgerechnet!) ihr seltsame Reiki-Behandlungen empfiehlt. Unterdessen geraten Nora und der neue Kollege Pawlak aneinander, da sie seinen rücksichtlos-aggressiven Verhörstil nicht goutiert, während ihm ihre pampigen Einmischungen auf den Sack gehen. Auch all diese Ideen verlaufen im Sande, bis neunzig Minuten später im Ruhrpott alles wieder so ist wie vorher: grau, rau und trist – und voll vom Zorn weißer Männer, der eben raus muss.

Das Erste zeigt «Tatort – Zorn» am Sonntag, den 20. Januar um 20.15 Uhr.

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Kurz-URL: qmde.de/106639
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