Interview

«Deutschland '86»-Schöpfer Anna & Jörg Winger: "Wir sind ganz schnell beim amerikanischen Präsidenten Trump"

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Mit den beiden Serienschöpfern sprechen wir darüber, wieso die Situation Mitte der 80er nicht sehr viel anders war als heute. Wir reden über den Unterschied, für Amazon zu produzieren und schauen in die Zukunft: Auf «Deutschland '89» und eventuell Folgendes.

Wenn wir uns nochmal an «Deutschland `83» erinnern, eine Staffel, die auch außerhalb Deutschlands für Schlagzeilen sorgte. Gab es denn aus dem Ausland andere Reaktionen wie aus Deutschland selbst? Wir Deutschen müssten unsere Geschichte ja eigentlich intensiver kennen als Amerikaner oder Franzosen.
Jörg Winger:
Die Staffel war in Deutschland erfolgreich, gerade auch im digitalen Bereich. Das ist einer der Gründe, weshalb Amazon die Serie jetzt fortsetzt. Ich denke allerdings schon, dass es beim deutschen Publikum eine Besonderheit gibt: Ich vermute eine sehr hohe Lust an historischer Detailgenauigkeit.

Anna Winger: Ganz grundsätzlich aber lässt sich sagen, dass sich die Reaktionen weltweit nicht wirklich unterschieden haben.

Jetzt entstand die zweite Staffel in erster Linie für Amazon Prime, wenn auch RTL dann quasi die lineare Free-TV-Premiere im Programm hat. Arbeitet man als Autor in Sachen Figurenführung anders, wenn man weiß, dass das für einen Streaming-Dienst ist?
Anna Winger:
Ehrlich gesagt: Amazon hat uns die gleichen Freiheiten gelassen wie damals schon RTL. Die Zusammenarbeit mit den Leuten bei Amazon war hervorragend. Ich kann also nicht sagen, dass es für mich als Autorin einen Unterschied gemacht hat, ob man jetzt mit einem Dienst wie Amazon arbeitet oder einem Sender wie RTL.

Jörg Winger: Sie dürfen nicht vergessen, dass wir mit RTL schon bei «Deutschland `83» die Verabredung hatten, eine ganz andere Art von Serie zu machen. Wir haben uns ja eher an internationalen Vorbildern orientiert – und zwar an den besten ihrer Zunft. Letztlich ist die Gemeinsamkeit, dass es bei «Deutschland `83» wie auch bei «Deutschland `86» um die bestmögliche Geschichte geht.

Unsere Meta-Story ist ja, dass der Kommunismus mit mafiösem Kapitalismus gerettet werden soll. Da sind wir dann übrigens ganz schnell beim amerikanischen Präsidenten Donald Trump.
«Deutschland '86»-Schöpfer Jörg Winger
Sie haben sich sehr intensiv mit der DDR befasst, den Menschen dort und somit auch der Region, die man heute „der Osten Deutschlands“ nennt. Verstehen Sie die momentan dort aufkeimende politische Strömung?
Jörg Winger: Die zweite Staffel spielt schon auch auf den aktuellen politischen Zeitgeist an. Unsere Meta-Story ist ja, dass der Kommunismus mit mafiösem Kapitalismus gerettet werden soll. Da sind wir dann übrigens ganz schnell beim amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Historisch betrachtet hat sich der Kapitalismus natürlich nach dem Kalten Krieg durchgesetzt. Aber der Sieg des Kapitalismus hat dazu geführt, dass man noch mehr Kapitalmus wollte. Dadurch ist die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung stark auseinander gegangen. Das beschreibt wohl die aktuelle Situation ganz gut, nicht nur in Deutschland.

Kann man also sagen: «Deutschland `86» kommt auch politisch zur richtigen Zeit?
Jörg Winger: Das würde ich unterschreiben.

Anna Winger: Natürlich muss man aber sagen, dass wir – wie oft bei zeitgenössischen Themen – für unsere Serie nach Metaphern gesucht haben.

Jörg Winger: Ich erinnere mich noch gut, wie wir vor einiger Zeit im Flughafen Tempelhof in unserem Writers Room für «Deutschland '86» saßen. Zehn Türen weiter haben dort 5.000 Flüchtlinge aus Syrien auf ihre Einreise gewartet. Heute gibt es auf den ersten Blick sehr viele Unterschiede zur Situation damals. Wir erzählen in der Serie auch einen Stellvertreter-Krieg, damals nicht in Syrien, sondern in Angola. Die Historie reimt sich eben doch…

Die zweite Staffel spielt im Jahr 1986 – drei Jahre nach Staffel eins. Kommen wir mal zur Handlung. Zu Deutsch gesagt: Die DDR ist pleite. Was also ist 1984 und 1985 passiert?
Jörg Winger: Wir haben uns wirklich nur mit 1986 intensiv befasst. Natürlich kann man sagen, dass es 84 und 85 weiter bergab ging. Die Lage der Menschen in der DDR hat sich verschlechtert. Man hatte sich1983 eine Milliarde Mark bei Franz Josef Strauß geliehen, war aber schon nicht mehr in der Lage, die Schulden zu bezahlen. Es gab umfangreiche Bemühungen in Computer-Technologien zu investieren – geklappt hat das nur mäßig. Das Wirtschaftssystem war zum Scheitern verurteilt. Ein großer Faktor war dann natürlich, dass die großen Unterstützer (vor allem die Sowjetunion) wegfielen und die DDR Ende der 80er auf sich allein gestellt war. Das hat die Einheit letztlich ermöglicht.

«Deutschland ´89» ist schon bestätigt. Wie ist der Zeitplan? Zwischen den beiden ersten Staffeln vergingen immerhin drei Jahre.
Jörg Winger: Wir haben bereits mit den Büchern angefangen. Nach jetzigem Plan können die Dreharbeiten im kommenden Spätsommer beginnen.

Das kann man in viele Richtungen drehen. Ich sage nur: «Deutschland `61».
«Deutschland '86»-Schöpferin Anna Winger
Eigentlich sollte mit «Deutschland `89» Schluss sein. Aber da gibt’s jetzt eine Trendwende. «Deutschland `92», «Deutschland `95» - all das ist jetzt spannend?
Anna Winger:
Das kann man in viele Richtungen drehen. Ich sage nur: «Deutschland `61».

Jörg Winger: Es ist ungemein spannend, Zeitgeschichte durch die Perspektive von Spionen zu erzählen. Spannend, unterhaltsam, relevant – was will man mehr?

Danke für das Gespräch.

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